Blutfehde
fünften Stock wieder raus auf den Hauptkorridor«, sagte Blakely.
Auf den untersten Etagen des Gerichtsgebäudes befanden sich die Säle für mindere Delikte. In den Stockwerken sechs bis neun war die Bezirksstaatsanwaltschaft untergebracht, die von den Gerichtssälen aus nur über den siebten Stock zugänglich war.
»Dann ist er also noch irgendwo im Haus?«, fragte ich. »Sie wissen, dass er eine geladene Waffe hat, er hat sich auch noch Oscar Valentis Pistole geschnappt.«
»Zu dumm, dass man beim Hinausgehen nicht durch die Sicherheitsschranke muss«, sagte Blakely.
»Warum? Sie denken doch nicht etwa, dass er entkommen kann? Um diese Uhrzeit wimmelt es hier nur so von Cops und Gerichtspolizisten«, sagte ich.
»Er war draußen, noch bevor Alarm gegeben wurde, noch bevor auch nur einer Bescheid wusste.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn Quillian im vierten oder fünften Stock das Treppenhaus verließ, dann hatte er die Möglichkeit, mit den Besucheraufzügen runterzufahren, und in seinem feinen Zwirn wäre er ohne Weiteres als Anwalt durchgegangen«, sagte Blakely und befingerte das Revers von Lems Jacke.
»Wie kommen Sie darauf, dass er entkommen konnte?«
Ich war geschockt, dass so etwas in diesem Gebäude überhaupt denkbar war.
»Weil seine Beschreibung auf einen Mann passt, der gerade ein Auto an der Ecke White Street geklaut hat, vor dem Gerichtsgebäude. Er schoss den Fahrer nieder, als dieser Münzen in die Parkuhr steckte, und entkam in einem schwarzen Toyota«, sagte Blakely. »Brendan Quillian ist auf freiem Fuß.«
30
Ein Blitzlichtgewitter empfing uns, als Captain Blakely die Holztür zum Korridor aufstieß und uns hinausgeleitete. Im Flur wimmelte es von Reportern und Fotografen, die ebenfalls seit zwei Stunden hier festgesessen hatten. Die Rettungsassistenten hatten die verletzten Gerichtspolizisten behandelt, und ein Rechtsmediziner hatte Elsie für tot erklärt, bevor sie in einem Leichensack abtransportiert worden war.
Lern zog seine Anzugjacke aus und hielt sie mir hin. Ich schlüpfte hinein und zog sie eng um meinen Körper, um die Blutflecken und das zerrissene Kleid zu verdecken. Er legte mir seinen Arm um die Schultern und führte mich durch ein Spalier von eifrigen Journalisten.
»Hey, Alex! Auf wen hat er zuerst geschossen, auf Sie oder den Richter?«
Gerichtspolizisten und Cops bildeten eine Menschenkette, um die Schaulustigen zurückzuhalten.
»Lern! Hey, Howell!« Das war Mickey Diamonds Stimme. »Drei Worte, Lern. Wir machen eine Schlagzeile draus.«
Lern und ich blickten stur geradeaus und zählten die Schritte bis zum Aufzug, der sich in der Mitte des Korridors befand.
»Schuss. Schluss. Schuldig.« Diamond ließ nicht locker.
»Stimmt es, dass Gertz sich noch immer unter der Richterbank versteckt?« Ein Gerichtsreporter streckte uns sein Mikro über die verschränkten Arme von zwei Cops entgegen.
»Geschossen. Geflüchtet. Gejagt.« Diamond steckte hinter einem Kamerateam fest und war kaum zu verstehen.
Lern beschleunigte seine Schritte. »Scheiße, da bringe ich noch im Schlaf bessere Texte zustande. Bin ich dir zu schnell? Wir sind fast da.«
»Wurden Sie im Voraus bezahlt, Mr Howell?«, fragte ein anderer Reporter. »Haben Sie den Scheck eingelöst, bevor Quillian sich aus dem Staub machte?«
Ein Detective, seine goldene Dienstmarke hing an seiner Brusttasche, hielt uns die Aufzugtüren auf. »Ab hier übernehme ich.« Er hob die Hand, und die Cops, die uns bis dahin abgeschirmt hatten, drehten sich zu der Menschenmenge um, als sich die Aufzugtüren schlossen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Lern und ließ mich los.
»Ja. Es ist nur… Es bricht mir das Herz, was mit Elsie passiert ist. Und du?«
»Wie du weißt, kann ich es nicht ausstehen, wenn ich etwas nicht kommen sehe. Ich dachte, ich hätte Quillian überzeugt, dass er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen würde. Ich hätte jedes deiner Argumente in der Luft zerfetzt.«
»Hast du gestern Abend mit ihm gesprochen?«
»Ja, er hat mich nach der Beerdigung angerufen.«
»Hast du ihm erzählt, was McKinney über die mögliche Exhumierung von Bex Hassetts Leiche gesagt hat?«
Howell zog eine Grimasse, antwortete aber nicht.
Im siebten Stockwerk erwarteten uns vier Detectives von der Bezirksstaatsanwaltschaft, um uns einen Stock höher in den Konferenzraum der Prozessabteilung zu bringen. Umgeben von Freunden und lieben Kollegen bewegte ich mich wie in einem schützenden Kokon durch den
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