Blutfehde
Flur und das dunkle Treppenhaus.
Der Chief of Detectives saß höchstpersönlich am Kopfende des Tisches. Er begrüßte uns und bat Laura, sich bereit zu halten, für den Fall, dass wir irgendetwas brauchten. Man hatte Jude Rutling, den Leiter der Elite-Mordermittlungseinheit der Bezirksstaatsanwaltschaft, mit den Ermittlungen beauftragt.
»Machen Sie es sich erst einmal bequem«, sagte der Chief. »Wollen Sie sich vielleicht vorher auf der Toilette frischmachen? Alex, Sie müssen uns Ihre Klamotten überlassen. Hat man Sie - das Blut und alles - schon fotografiert?«
»Ja. Ja, die Spurensicherung hat es oben schon getan.«
»Wir werden sie einzeln befragen. Jude kann mit Alex anfangen, und Sie, Lern, gehen mit meinen Leuten in ein anderes Büro.«
»Ich hätte gerne einen Kaffee, bitte.« Ich zitterte, obwohl ich noch immer Lems Jacke um die Schultern gewickelt hatte. »Darf ich mit Laura sprechen?«
Ein Detective begleitete mich zur Damentoilette, vorbei an Lauras Vorzimmer. Laura wollte mich umarmen, aber ich wich zurück. »Warten Sie, bis ich mich gewaschen habe. Sind noch irgendwo ein paar alte Kleidungsstücke im Schrank? Ich habe meine Jeans letzte Woche für den Tunnelbesuch benutzt.«
»Marisa war schon hier«, sagte Laura und holte einen Kleiderbügel aus meinem Büro. »Der hier sollte passen.«
Ich nahm den schwarzen Jogginganzug mit in die Toilette - den gleichen Ort, wo sich Carol Goodwin gestern die Pulsadern aufschneiden wollte. Mir wurde schwindelig, als ich in den Spiegel sah, meine Hände und mein Gesicht waren blutverschmiert, und ich war über und über verdreckt.
Ich zog mich aus und schlüpfte in die Fitnessklamotten meiner Kollegin Marisa Bourgis. Dann ließ ich warmes Wasser in das Waschbecken einlaufen und tauchte meinen Kopf hinein. In dem alten Verwaltungsgebäude gab es keine Duschen in den Damentoiletten - in der Zeit, als es gebaut wurde, hatten sie noch keine weiblichen Staatsanwälte.
Ich trocknete mir das Gesicht mit braunen Papierservietten ab und strich mir durch die nassen Haare. Der Detective, der vor der Tür Wache stand, musterte überrascht meinen neuen Look, als ich ein paar Minuten später aus der Toilette kam. Er brachte mich in den Konferenzraum zurück, wo Jude mit zwei Detectives und meinem Kaffee auf mich wartete, um die Ereignisse des Vormittags in allen Einzelheiten mit mir durchzugehen.
Quillians Aktion war völlig unerwartet und blitzschnell gekommen. Ich kannte die Prozedur ebenso gut wie die Männer, die mich vernahmen, und ich versuchte, mich an jede Nuance und jedes Detail zu erinnern und ihnen geduldig zu beschreiben, wie die einzelnen Anwesenden auf die Schüsse und das Geschehen im Saal reagiert hatten.
Die Tür hinter mir ging auf, und ich lehnte meinen Kopf an die Rückenlehne des schwarzen Ledersessels. Es war Laura. »Entschuldigen Sie, Jude. Mr Battaglia ist wieder im Haus und würde gerne mit Alex sprechen.«
»Wir sind gleich fertig.«
»Er sagt, sofort.«
Ich stand auf, dankbar für die Unterbrechung, obwohl ich wusste, dass ich mich auf eine weitere Vernehmung durch den Boss gefasst machen musste. »Sind die Korridore gut genug gesichert, dass ich die hundertfünfzig Meter allein schaffe?«
»Laura kümmert sich um Sie. Aber sobald Sie das Haus verlassen, stehen Sie und Lern Howell unter Personenschutz, bis man Quillian findet. Zwei Detectives werden Sie rund um die Uhr bewachen. Sie können sich aussuchen, wer bei Ihnen übernachten soll. Der andere bleibt unten in der Eingangshalle Ihres Wohnhauses.«
»Ignacia Bliss.« Ich lächelte Jude an. »Falls Lern sie mir nicht schon weggeschnappt hat. Oder Sue Morley. Ich fühle mich wohler mit einer Frau in der Wohnung.«
»Selbstverständlich. Bis später.«
Laura brachte mich zu Battaglias Büro und blieb im Vorzimmer, um Rose Malone, die mich zum Boss durchwinkte, die Ereignisse zu erzählen.
Mike Chapman saß, die Füße auf einem Aktenschrank und eine Cohiba zwischen den Zähnen, am Tisch des Bezirksstaatsanwalts. »Du bist bestimmt die anstrengendste Frau der Welt, Coop. Du kannst nicht einmal im Gerichtssaal sein, ohne unter Beschuss zu geraten.«
Mercer Wallace kam auf mich zu und zog mich fest an sich. So schwer sich Mike tat, seine Gefühle auszudrücken, so leicht fiel es Mercer. Paul Battaglia saß am Ende des langen Tisches und signalisierte mir, dass er sein Telefonat gleich beenden würde.
»Obendrein hast du den Look einer ersoffenen Ratte«, sagte Mike. »Äußerst
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