Blutfehde
Ich glaube, sie klammert sich an einen Strohhalm, aber es ist ein schöner Juninachmittag, und wir haben nichts Besseres zu tun. Mal sehen, worum es in dem Streit zwischen den Hassetts und den Quillians ging.«
Ich öffnete die Autotür, während Mike telefonierte. »Wer ist da?… Hey, Spiro, hier ist Chapman. Kannst du mir einen Gefallen tun? Geh mal zwölf Jahre zurück, plus/ minus ein paar Monate. Such mir eine Akte über ein sechzehnjähriges Mädchen namens Rebecca Hassett, genannt Bex, heraus. Erstickungstod im Pelham Bay Park. Ja, ich weiß. Ich schulde dir ein Essen im Patroon, ein großes saftiges Lendensteak mit einer teuren Flasche Rotwein.«
Mike stieg ein und ließ den Motor an, während der Detective am anderen Ende etwas sagte.
»Was denn sonst, Spiro? Alle schriftlichen Unterlagen, so schnell wie möglich. Am besten gestern. Polizei- und Autopsieberichte, Fotos, Vernehmungsprotokolle, Verdächtige. Ruf mich an, wenn du die Sachen hast.«
Die Fahrt zu der äußersten Halbinsel in der East Bronx, einem alten Viertel im Schatten der großen modernen Brücke über den Long Island Sound, dauerte zwanzig Minuten. Mike nutzte die Zeit, um mit seinem Wissen über die New Yorker Stadtgeschichte aufzutrumpfen, von der ich nie genug hören konnte. »Weißt du, woher der Name >Throgs Neck< kommt?«
»Keine Ahnung.«
»John Throckmorton. Er gründete hier in den 1640er-Jahren, als New York noch den Holländern gehörte, eine Dutzende Hektar große Farm. Wir suchen nach Phin Baylors Haus neben einer Kirche auf der Hollywood Avenue, richtig? Die hat auch einen interessanten Namensgeber.«
»Warst du schon mal dort?«
»Sagen wir nur, die Final Jeopardy -Kategorie des Nachmittags ist Doo Wop«, sagte Mike. »Eine Audio-Doppelwette. Die Antwort lautet: >Mädchengruppe, die 1958 mit dem Song Maybe einen Hit landete.<« Er fing an zu singen. »May-ay-be…!«
Ich hatte zu dem Song ein paar Mal auf Studentenpartys getanzt, wenn die Djs Oldies auflegten. Maybe, if I hold your hand… maybe, if I kissed your Ups. Ich kannte den Text ebenso gut wie Mike, aber falls er gedacht hatte, ich würde ihn ihm vorsingen, hatte er sich verrechnet. Ich wusste allerdings nicht, von wem der Song war. »Die Shirelles?«
»Eiskalt.«
»Die Sequins?«
»Ich hab dir doch schon den besten Anhaltspunkt gegeben, Coop. Wer sind die Chantels?«
»Von dieser Kirche? S t . Frances de Chantal?«
»Ja. Sie haben nur einen Buchstaben geändert. Sie sangen im Chor und studierten gregorianische Kirchengesänge ein. Als sie bei einem Schulball in der Gemeinde auftraten, wurde ein großer Promoter auf sie aufmerksam, und schwuppdiwupp kamen sie als eine der ersten Girl-Groups mit Doo Wop groß raus.«
Wir bogen von der Harding Avenue in die Hollywood Avenue ein. Die bunten Glasfenster der Kirche funkelten in der Spätnachmittagssonne. Zwei junge Frauen - ungefähr in Trish Quillians Alter - saßen auf der Veranda eines schmalen Backsteinhauses neben der Kirche und unterhielten sich. Sie verstummten und starrten auf das Auto, als wir am Bordstein anhielten.
»Lass mich das machen«, sagte ich zu Mike.
Ich ging den Weg hinauf zum Haus, stellte mich vor und fragte, ob Phinneas Baylor hier wohnte.
»Ja, und ich bin seine Tochter Janet.« Die Frau mit den helleren Haaren stand auf und kam auf mich zu. »Ist was passiert?«
»Nein, wir würden uns nur gerne mit Ihrem Vater unterhalten. «
»Worum geht’s denn? Mir wär’s lieber, er wird nicht gestört.«
»Wir sind eigentlich -«
»Ich weiß, dass es kein Höflichkeitsbesuch ist. Ihr Auto verrät Sie hier im Viertel.« Janet versuchte mich zurückzudrängen, weg von ihrer Freundin. Ich hörte hinter mir die Autotür zufallen; wahrscheinlich gefiel Mike nicht, was er sah.
»Mike Chapman. NYPD«, sagte er, die Hände in den Hosentaschen. »Kein Grund zur Beunruhigung. Sie sind…?«
»Janet. Janet Baylor.« Sie blickte abwechselnd von Mike zu mir und traf ihre Wahl. »Ist mein Dad in Schwierigkeiten?«, fragte sie ihn.
Mike lächelte und führte sie am Arm zum Auto. »Eine uralte Geschichte, Janet. Wir brauchen ein paar Nachhilfestunden von Ihrem Vater. Wir haben gehört, dass Ihr Vater uns vielleicht ein paar Geschichten von früher erzählen kann, die uns womöglich bei einer aktuellen Ermittlung weiterhelfen.«
Sie legte den Kopf schief. »Es geht um die Quillians, oder? Es ist in allen Nachrichten. Sie wollen ihn doch da nicht mit hineinziehen, oder? Er weiß absolut nichts
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