Blutfehde
Pferde und Fusel, wie meine Mama immer sagte. Wenn er sich dabei nur ein bisschen zurückgehalten hätte, wäre es uns richtig gut gegangen. «
»Diese Hassett-Jungs waren also nicht im Tunnel, als ihr Vater starb?«, fragte Mike.
»Nein, nein. Damals waren sie alle noch in der Grundschule.«
»Sie können also nichts gesehen haben?«
»Nein, sie glauben nur den Lügenmärchen.«
Mike schlug eine leere Seite in seinem Block auf. »Kennen Sie noch jemanden, der zusammen mit Ihrem Vater und Duke im Tunnel war, als Hassett starb?«
Sie überlegte eine halbe Minute. »Jedenfalls keinen, mit dem er befreundet war.«
»Trish«, sagte Mike. »Ich suche nicht nach Dukes Freunden oder Feinden. Ich suche nach einem Augenzeugen, der mir vielleicht die Wahrheit sagen kann.«
Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und bedeckte ihre Augen mit den Händen. »Meine Mutter kannte jeden. Zu dumm, dass ihre Erinnerungen jetzt alle in ihrem Kopf eingeschlossen sind.«
»Denken Sie nach,Trish«, drängte Mike. »Sie haben die Geschichte so oft gehört.«
Sie erinnerte sich an die Namen von zwei älteren Männern, die an derselben Lungenkrankheit wie ihr Vater gestorben waren, und an zwei weitere, die in Rente gegangen und aus New York weggezogen waren. Dann fielen ihr noch ein paar Allerweltsnamen ein - Powers, Ryan, O’Callahan. Mike müsste die Gewerkschaftsunterlagen der letzten zehn Jahre durchsuchen, um sie zu finden. Widerwillig nannte sie uns schließlich jemanden, der möglicherweise als Augenzeuge dabei gewesen war.
»Phin – Phinneas Baylor. Wenn er noch lebt, redet er vielleicht mit Ihnen. Phin wurde an dem Tag zum Krüppel. Soweit ich weiß, konnte er danach nie wieder arbeiten. Er hat Duke nie dafür verantwortlich gemacht, alle sagten, dass Phin meinem Bruder sein Leben zu verdanken hat.« Trish wurde immer trotziger. »Früher wohnte er mit seiner Tochter drüben in Throgs Neck. Sie ging mit mir zur Schule. Auf der Junior High waren Bex und ich gute Freundinnen.«
»Erinnern Sie sich an die Adresse?«, fragte Mike.
»Sie wohnen direkt neben St. Frances de Chantal. In der Hollywood Avenue, links von der Kirche. Die Hausnummer weiß ich nicht mehr. Zu dumm, dass Bex tot ist. Sie hätte den Jungs den Kopf zurechtgerückt. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, Duke die Schuld zu geben.« Trish rutschte aus der Nische und blieb vor Mike stehen. »Ich muss gehen.«
»Was hat Ihre beste Freundin Bex damit zu tun?«, fragte ich.
»Sie war auch eine Hassett. Rebecca Hassett, die ältere Schwester der Jungs. Bex war so alt wie ich, wir waren seit unserem vierten, fünften Lebensjahr wie Schwestern.«
»Was wusste sie über den Unfall?«, fragte Mike.
Trish zögerte. »Glauben Sie, sie wäre mit mir befreundet geblieben, wenn sie gedacht hätte, dass jemand aus meiner Familie für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist?«
Mike wurde langsam ungeduldig. »Hören Sie, Trish. Das ist alles nur… nur… Ich will nicht sagen, dass es wertlos ist, aber -«
»Es ist die Wahrheit, Mr Chapman. Sie wollen es sich nur einfach machen, stimmt’s?«
Trish ging Richtung Ausgang. Mike und ich folgten ihr. »Können wir Sie irgendwo hinbringen?«
»Ich habe doch gesagt, dass man mich nicht mit Ihnen sehen darf.«
»Wann ist Bex gestorben?«, fragte ich. Es gab wohl keine andere Bevölkerungsgruppe dieser Stadt, die so gefährlich lebte wie die Tunnelbauer.
»Wir waren sechzehn.« Sie schlang ihren schwarzen Mantel um sich. »Es war ungefähr fünf oder sechs Monate, nachdem ihr Vater gestorben war. Danach hatte sie sich nicht mehr so ganz unter Kontrolle. Sie musste den drei Brüdern eine zweite Mutter sein, und sie war noch zu jung dafür. Bex liebte ihre Freiheit.«
»Was ist passiert?«
»Meine Mutter sagte immer, dass sie ein wildes Kind war. Ich bekam Prügel, wenn ich die Schule schwänzte. Bex hatte niemanden, der sie zur Räson gebracht hätte. Sie trieb sich auf der Straße herum, und sie verbrachte mehr Zeit bei uns als bei sich zu Hause. Dann ließ sie sich mit einer Clique ein - meist ältere Typen, die nachts im Park herumlungerten.«
»In welchem Park?«, fragte Mike.
»Pelham Bay. Man fand ihre Leiche auf dem Golfplatz. Eine Gruppe Rowdys wohnte quasi dort, sie rauchten, tranken und pöbelten da jede Nacht. Die ganze Sache war eine Nummer zu groß für sie, und sie musste es büßen. An dem Tag, an dem wir zusammen in die Stadt zu Brendans Hochzeit fuhren, habe ich Bex Hassett das letzte Mal lebend
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