Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Gedanken sowieso nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Also stand er auf und zog seine Jacke an. Wenige Minuten später war er auf dem Weg zum Taxistand beim Ryenkrysset.
Es war spät und kaum Verkehr, nur wenige Menschen waren unterwegs.
Als das Taxi endlich hielt, stieg er aus und schlenderte zum Hauseingang. Maria Hoffs Fenster waren dunkel. Er blieb stehen und sah in beiden Richtungen die Straße entlang.
Wenn jemand diese Wohnung beobachten wollte und nicht in einem Wagen saß, wo würde er sich dann hinstellen?
Er ging den Bürgersteig entlang, dachte an Orson Welles in Der dritte Mann . Harry Lime, der die Wohnung der Frau von einer dunklen Eingangstür her ausspionierte. Aber hier waren alle Eingangstüren erleuchtet. Nirgends war eine Birne durchgebrannt, keine Leuchtröhre erloschen. Es gab wenig Orte, wo man stehen konnte, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, nicht einmal eine Bushaltestelle war in der Nähe. Das einzige Versteck waren offenbar die Büsche vor dem Eingang. Konnte Bull in einem Auto gesessen haben?
Aber Maria Hoff und er waren an dem Abend zu Fuß gekommen. Wenn Bull in einem Auto gesessen hatte, dann hätte er auf sie gewartet und wäre ihnen nicht gefolgt.
Er spürte Hunger und Durst. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite leuchtete das Schild einer rund um die Uhr geöffneten Kebab-Bude. Er überquerte die Straße und ging hinein. Ein junger Mann mit einem verwaschenen T-Shirt und einem verkehrt herum aufgesetzten Cap nickte ihm zu und stellte sich an die Kasse. Die Speisekarte, die über dem Kopf des Jungen an der Wand hing, zeigte Farbfotos von diversen Gerichten mit und ohne Pitabrot. Frølich ging zum Fenster. Sah hinaus.
Das war der Ort. Er sah direkt auf das Fenster von Maria Hoff.
Eine Bildsequenz in der Erinnerung: sie beide in ihrer Wohnung. Alle Lichter gelöscht. Die langbeinige Gestalt, die zur Stereoanlage ging, Musik auflegte, ans Fenster trat, sich an das Fensterbrett lehnte, aus dem verdunkelten Zimmer hinaussah, auf dieses Lokal, das durch scharfes Neonlicht erleuchtet war. Ihr Blick im Spiegel der Fensterscheibe. Die plötzliche Veränderung.
Der Mann an der Kasse räusperte sich.
Frank Frølich warf ihm einen abwesenden Blick zu und sah wieder aus dem Fenster.
»Ja?«, sagte der Junge mit dem Cap.
Frølich bestellte eine Falafel und Cola.
Der junge Mann nickte zu dem einzigen Tisch neben der Eingangstür. Frølich bezahlte. Er sagte: »Ich hoffe, Sie machen die Sauce mit Liebe. Hab diesen Laden von einem Kumpel empfohlen bekommen. Wenn die Sauce nicht schmeckt, werde ich das petzen – und dann kommt mein Kumpel und verhaut Sie.« Er grinste.
Der Mann hinter dem Tresen grinste zurück. Es ratterte hinter seiner Stirn. »Ihr Kumpel ist bestimmt ein ganz starker Typ, was?«
Frølich nickte. »Größer als ich, über zwei Meter groß, rasierter Schädel, sieht fast dick aus, aber es sind nur Muskeln und Knochen, und wenn er still steht, dann glotzt er einen mit offenem Mund an.«
»Das ist Ihr Kumpel?«
»Glauben Sie mir nicht?«
»Doch, klar. Ist der mal nachts hier gewesen?«
Frølich nickte. »Von Freitag auf Samstag.«
»Schon komisch, dass ausgerechnet der Ihnen diesen Laden empfohlen haben soll. Zu mir hat er gesagt, mein Essen schmeckt Scheiße.«
Frølich ging wieder an den Tisch zurück und rief Gunnarstranda an. »Hast du schon geschlafen?«
»Nein, ist dir was eingefallen?«
»Ich sitze in einer Kebab-Bude gegenüber von ihrer Wohnung. Es sieht aus, als hättest du Recht. Petter Bull war hier in der Nacht.«
Frølich trank Cola und sah aus dem Fenster. Er fühlte sich völlig matt und leer.
Der Junge mit dem Cap kam mit dem Essen.
Frølich betrachtete die frittierten Klöße und merkte, dass ihm überhaupt nicht nach Essen war.
Er bezahlte und versuchte beim Gehen jeden Blickkontakt mit dem Jungen zu vermeiden. Aber der wollte eine Erklärung.
»Was ist los? Sie haben nicht einmal probiert?«
»Ihr Essen ist nicht das Problem«, sagte Frølich und seufzte. »Es ist der Ort.«
In der Sannergata hielt er ein Taxi an, das ihn in nur fünf Minuten nach Torshov brachte. Kurz darauf klingelte er bei Emil Yttergjerde.
Es war spät, aber es leuchtete hell hinter dem kleinen Guckloch in der Tür. Trotzdem reagierte niemand auf sein Klingeln. Emil war zu Hause. Warum zum Teufel machte er nicht auf? Frølich klingelte noch einmal und nahm den Zeigefinger eine Weile nicht vom Klingelknopf. Als er losließ, hörte er ein Geräusch. Noch
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