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Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Titel: Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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sprachen, dass doch nicht allein sein Bewusstsein den Gedankenstrom steuerte. Edel war auch dabei, stumm, beobachtend, mit einem Gesichtsausdruck, den er nicht deuten konnte. Kleine Kinder, die er kaum kannte, zogen vorbei. Doch am häufigsten tauchte ein Mann auf, der wahrscheinlich Arne Werner Welhaven war, weil er für einen Moment in einem Sessel saß und redete, um sich im nächsten Moment im Wasser zu winden, wo er nackt an der Oberfläche trieb und den Meeresboden betrachtete.
    Als Gunnarstranda aufwachte, fühlte er sich wie gerädert. Er zitterte und war außerstande, die Eindrücke des nächtlichen Kinos loszuwerden. Er war völlig durcheinander. Irgendwo in seinem Inneren war ein Prozess im Gange. Er bekam die Gedanken an Edel nicht aus dem Kopf. Den Gedanken an das Präsidium konnte er kaum ertragen, nicht an diesem Morgen.
    Aber was wollte Edel? Was wollte sein Unterbewusstsein ihm durch die Erinnerung an sie sagen?
    Nach einem knappen Frühstück setzte er sich ins Auto und fuhr die E18 hinunter. Es dauerte über eine halbe Stunde, bevor ihm klar wurde, wohin er unterwegs war. Er bog in Richtung Moss ab. Fast sofort nachdem er Mosseporten erreicht hatte, stach ihm der Geruch der Papierfabriken in die Nase. Er fuhr an riesigen Feldern von geflößten Baumstämmen vorbei. An der Kreuzung am Stadteingang beschloss er, um das Zentrum herumzufahren. Er fuhr den Hügel hinab zum Meer, über die Eisenbahnbrücke und die Kanalbrücke, dann auf der Jeløy-Seite in Richtung Galleri F15 und Alby.
    Er hatte viele schöne Erinnerungen an Jeløya. Die Insel war ein häufiges Ziel der Sonntagsausflüge gewesen, die er und Edel sich gegönnt hatten. Zuerst die gemütliche Fahrt durch Østfold, und dann durch das Netzwerk von Pfaden auf der Insel wandern, vielleicht ein paar Pflanzen bestimmen, auf jeden Fall schließlich eine Ausstellung in der Galerie besuchen oder im Garten sitzen und über den Oslofjord schauen.
    Jetzt gönnte er sich denselben Luxus. Kaufte sich eine Tasse Kaffee und für die Vögel einen Keks. Die Sommerwärme hielt auch an diesem Augusttag noch an. Er fand einen Stuhl an einem wackligen Tisch auf dem Kies vor dem Herrschaftshaus bei der Galerie, warf den Spatzen und den Bachstelzen im Sonnenschein Kekskrumen zu und betrachtete die knorrigen Laubbäume, die den Wasserspiegel umrahmten, auf dem eine Autofähre den Oslofjord in Richtung Horten überquerte. Er spürte dem Gefühl nach, hier zu sitzen, allein, ohne Edel. Dachte über den merkwürdigen Traum der letzten Nacht nach, ihren Blick und die Tatsache, dass er seit ihrem Tod nicht mehr an diesem Ort gewesen war.
    Er dachte an Welhaven, der es vermieden hatte, zu seinem Sommerhaus zu fahren, nachdem seine Frau gestorben war. Er dachte: Es ist nicht dieser Ort, den ich versucht habe zu meiden, es ist ein Ort in mir selbst, den ich gemieden habe – die Erinnerungen. Die Vermeidung kommt aus der Angst, etwas in mir zu begegnen . Er saß da und spürte nach, wie es sich anfühlte, dort zu sein, und versuchte dann, dieses Gefühl mit der Vorstellung, die er davon gehabt hatte, wie es wohl sein würde, zu vergleichen.
    In Gedanken versunken saß er da und merkte nicht, wie die Zeit verging.
    Die Sonne, die seine Stirn wärmte, das Geräusch von Schritten auf dem Kies, das zarte Zwitschern der kleinen Vögel, der Geruch von Meer und Sommer waren wie immer. Aber die Sehnsucht nach ihr veränderte sein Erleben. So soll es auch sein , dachte er, denn ich sitze allein hier . Er schloss die Augen und sah Welhavens Kleider in einem Haufen auf dem Felsen liegen. Sah einen weißen Körper, der auf den Rand des Abgrunds zustapfte, sah den Körper vornüberkippen, sah seinen Fall, seinen Aufprall auf dem Stein, Knochen, die brachen, Haut, die riss, sah den Körper, der weiterrollte, in Kaskaden von schäumendem Wasser, hinunter in die Tiefe, wo die Strömung ihn erfasste und unten hielt.
    Das Unbehagen ließ ihn vom Stuhl hochfahren.
    Zwei ältere Frauen, die mit den Händen im Schoß dagesessen hatten, die Gesichter der Sonne zugewandt, schauten erschrocken und verwundert zu ihm herüber. Gunnarstranda kehrte ihnen den Rücken zu und ging langsam unter den Maronenbäumen auf die flache Mauer vor der Uferböschung zu, die allen Kaffeegästen im Garten eine optische Täuschung bescherte. Der Fjord, der weit unter ihnen und sehr weit weg zu sein schien, war eigentlich nur ein Stolpern entfernt.
    Er musste im Stillen über die Symbolik dieses Gedankens lächeln

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