Blutfeuer
tat ihnen bereitwillig den Gefallen. »Meine Herren,
Kommissar Lagerfelds sportlicher Erfolg, den Sie hier bewundern durften, rührt
tatsächlich nicht von seiner kurzen Nikotinabstinenz. ›Yellowstone‹, welches
unser willensstarker Kommissar hier einnimmt, um seine Entzugssymptome zu
mildern, wurde als Mittel gegen Demenz entwickelt, doch tatsächlich ist es ein
leistungssteigerndes Mittel und, wie Sie eben gesehen haben, in seiner Wirkung
einzigartig. Unser lieber Lagerfeld konnte nur deshalb gewinnen, weil er mit
›Yellowstone‹ vollgepumpt ist, so wie die Dinge liegen, dem besten
Dopingmittel, das je erfunden wurde. Verantwortlich dafür sind sogenannte
Kälteagglutinine, die in modifizierter Form eine immense Sauerstoffaufnahme des
Hämoglobins ermöglichen. Das ist die Lösung des Problems. Doping ist also der
Motor für all die begangenen Verbrechen.« Triumphierend schaute er zu
Haderlein, während Lagerfeld am liebsten in irgendeinem Mauseloch verschwunden
wäre.
Franz Haderlein interessierte der Seelenzustand seines Kollegen
indes nur wenig. Doping? Das konnte doch nicht sein! »Geben Sie mir doch noch
einmal die Liste mit den Namen der Toten«, sagte er ungeduldig zu Honeypenny.
Schnell überflog er die Daten. Die Theorie konnte nicht stimmen!
»Aber Doktor Lacroix, auf meiner Liste kann ich nur drei
Hobbysportler entdecken. Einen Radfahrer aus Mallorca, einen Hobbyhandballer
aus Drosendorf und einen Mountainbiker aus Fürth. Dazu kommen noch ein
Investmentbanker und ein Kind. Und schon allein, dass Freizeitsportler Opfer
geworden sind, ist merkwürdig genug. Seit wann dopt man denn im
Freizeitsportbereich? Und was sollen ein Investmentbanker und ein Kind mit
Doping zu tun haben? Das ist doch verrückt.«
Über Lacroix’ Gesicht legte sich ein trauriger Zug. »Ich bin ein
renommierter Hämatologe, Herr Kommissar. Vor mir lagen schon Hunderte von
Blutbildern, die mit Doping zu tun hatten. Glauben Sie mir, nach meiner
Schätzung nimmt mindestens jeder Zehnte in unserem Kulturkreis
leistungssteigernde Mittel zu sich. Und da bewege ich mich mit meinen
Schätzungen wahrscheinlich noch am unteren Ende der Dunkelziffer. Ganz sicher
gibt es überdrehte Banker, die den Kragen nicht voll genug bekommen, oder
überehrgeizige Eltern, die aus ihren Kindern kommende Olympiasieger machen
wollen. Koste es, was es wolle. Gesundheit ist doch egal, wenn es um den Stolz
des Vaters oder der Mutter geht. Geben Sie sich keinen Illusionen hin,
Haderlein, diese Welt ist krank. Hier geht es um Leistung, um Stress oder auch
nur ganz banal um Geld. Das müssen Sie sich klarmachen, Herr Kommissar. Und
glauben Sie mir, im Handel mit einem solch phantastischen Stoff wie
›Yellowstone‹ steckt mindestens so viel finanzielles Potenzial wie im
Rauschgiftgeschäft.« Als Lacroix seinen Vortrag schloss, wirkte er überhaupt
nicht mehr gut aufgelegt.
Im Büro war es still geworden. Haderlein schwieg einen Moment. Auf
einmal war ihm fast alles klar. Jetzt bekam die ganze Geschichte endlich einen
Sinn. Allerdings würde er, gesellschaftliches Problem hin oder her, kriminelle
Akte dort bekämpfen, wo er sie antraf. Und er sah auch noch nicht die komplette
Lösung des Falles. Schließlich wussten sie immer noch nicht, warum das Mittel
außerhalb der Versuchsreihe in die Hände von anderen Menschen gelangt war.
Warum einige Menschen an »Yellowstone« starben und andere, zum Beispiel sein
Sonnenschein Lagerfeld, nicht.
Siebenstädter wusste Haderleins fragenden Blick sehr wohl zu deuten.
Jetzt kam endlich sein Fachgebiet zu der ihm zustehenden Geltung. »Ihre Frage
steht Ihnen ins Gesicht geschrieben, Haderlein. Ich habe mich heute die halbe
Nacht mit derselben beschäftigt: Welches Plasmodium, also welcher Erreger
sowohl im Mittelmeerraum als auch hier diesen seltsamen Tod auslösen konnte.
Die einfache Antwort ist, dass es einen solchen Erreger nicht gibt.«
Lagerfeld, der sich inzwischen wieder gefangen hatte, schaute den
Pathologen verdutzt an. »Wie, gibt es nicht? Irgendwer oder -was muss es doch
wohl gewesen sein?«
Siebenstädter nickte und hielt dann einen Computerausdruck hoch, den
er erst vor wenigen Minuten bekommen hatte. »Da haben Sie recht, Lagerfeld.
Nachdem ich fachlich nicht weiterkam, was selten genug der Fall ist, beschloss
ich, die medizinischen Werte des Blutbildes und eine fotografische Aufnahme des
Elektronenmikroskopes aus dem Sandhofer Labor an das Institut für Tropenmedizin
nach Würzburg zu
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