Blutfeuer
werdet die zehntausend
Höhenmeter wohl oder übel tatsächlich fahren müssen. Ich gehe davon aus, dass
alle fit sind?«
»Ich schon!«, parierte Ronald Wolf. »Bei annera hier is des net so
sicher.« Erneut machte die Rückenpartie seines Kumpels Sigismund Ludwig
Bekanntschaft mit der rechten Pranke. »Ich bin fit«, tönte Wolf weiter, »und
zwar in jeder Beziehung!« Dabei fixierte er Ute von Heesen.
»Schön«, meinte diese lakonisch, »dann kannst du ja gleich mal
unsere Pedalen putzen.« Allgemeines Gelächter war die Antwort, und die
angespannte Stimmung löste sich. Erste Fragen zur Strecke wurden an den
Tourleiter gerichtet, und fünf Minuten später hatten alle den kleinen Fürther
Zwischenfall vergessen.
*
In Palermo las Giorgio Amadi vom italienischen Wetterdienst die
neuesten Zahlen auf seinem Bildschirm. Entweder waren das Fehlleistungen eines
sündteuren Wetterbeobachtungssatelliten im All, oder aber es wurde Zeit,
Konsequenzen zu ziehen. Konsequenzen, die sich da nannten: Alarm. Doch Giorgio
Amadi war ein vorsichtiger Mensch. Schließlich war das hier ein
beamtenähnliches Beschäftigungsverhältnis. Und ein Beamter hasste nichts mehr,
als Fehler zu machen. Fehler, die ihm womöglich auch noch nachzuweisen waren.
Dieser Umstand war undenkbar, schlimmer noch als Hunger oder Pestilenz. Also
rief Giorgio Amadi in der Zentrale in Rom an, um sich rückzuversichern.
Vielleicht hatte die unsägliche Hitze ja auch nur ein paar Schaltkreise des
Rechenzentrums in den Computerwahnsinn getrieben.
»Toni Sanfillipo, staatlicher Wetterdienst«, meldete sich ein Mann
am anderen Ende der Leitung.
»Toni, ich bin’s, Giorgio aus Palermo. Ich wollte nur mal kurz
nachfragen, ob ihr auch diese tropische Depression bei Kreta auf dem Schirm
habt, oder ob ich allein unter Halluzinationen leide. Ich glaube, da braut sich
was Größeres zusammen.«
Von Toni war ein Schnaufen zu hören. »Mensch, Giorgio, du schiebst
wieder Panik, oder? Ich hab gerade die nächste halbe Stunde Pause. Könnt ihr
keinen Sturm mehr erkennen, wenn ihr ihn seht?« Toni Sanfilippo ging
gewichtsmäßig stark auf die Zweizentnermarke zu und erhob sich nur ungern aus
seinem Stuhl. Die diesjährige Hitze war nicht gerade ein Bewegungsanimator für
einen Menschen seiner Gewichtsklasse, und seine Pausen waren ihm sowieso heilig.
Der unselbstständige Bürokratenarsch aus Palermo ging ihm schon seit Längerem
gewaltig auf den Seier mit seinen ständigen Rückfragen. Auf den hatte er jetzt
wirklich keine Lust. »Egal, was ihr da auf dem Schirm habt, Giorgio, ihr regelt
das allein«, blaffte er seinen sizilianischen Kollegen an. »Ich kann dir nicht
andauernd das Händchen halten. Du hast doch das Gleiche studiert wie ich, oder?
Meteorologie! Entweder ist das ein Sturm, oder es ist keiner. Aber eins kann
ich dir mit Sicherheit sagen: Selbst der schlimmste Sturm ist nichts im
Vergleich zu dem Ärger, den du bekommst, wenn du in dieser Woche auch nur noch
ein einziges Mal wegen irgendwelcher Banalitäten anrufst! Hast du mich
verstanden, Giorgio? Außerdem fragt ihr da unten doch sowieso bei jedem Scheiß
die Mafia! Vielleicht kann dir ja dein Don weiterhelfen!« Er knallte den Hörer
hin und wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht, die er soeben durch seinen
Anschiss ausgeschwitzt hatte. Er hatte die Nase voll. Erst die Gehaltskürzung
durch die Regierung und dann noch dieser unselbstständige Halbaffe aus Palermo.
Toni Sanfilippo beschloss, sehr italienisch zu reagieren. Er würde seine
Mittagspause auf den Rest des Arbeitstages ausdehnen und eine gut klimatisierte
Weinbar mit seiner Anwesenheit beehren. Ihm war nach einem schattigen Plätzchen
am Campo di Fiori. Dort würde er in seinem Lieblingsweinlokal, der »Enotequa«,
die Statue des ketzerischen Mönchs Giordano Kuno betrachten und due Rossi
buoni zu sich nehmen, und zwar langsam. Arrivederci, Giorgio, dachte
er erleichtert, während er die Tür hinter sich schloss.
Der Leiter des kleinen Wetterdienstes in Sizilien schaute verblüfft
auf seinen Telefonhörer, bevor er ihn verärgert auf den Apparat legte. Auch
gut, dachte er. Mehr als fragen konnte er nicht. Also würde er die ganze Sache
noch eine Weile beobachten und dann tun, was er tun musste. Und wenn sich alles
im Nachhinein als Computerfehler herausstellte, bitte, dann sollten sie eben
den Rechner entlassen. Aber nicht ihn. Er würde seine Hände in Unschuld
waschen. Erneut studierte er ungläubig die Wetterdaten von Kreta und
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