Blutfeuer
nicht unerheblichen Parfümaufwand hatte sie es geschafft, den
ekelhaften Uringeruch, den der Tierarzt auf sie übertragen hatte, auf ihrem
Körper und in ihren Kleidern zu überlagern. Aber kaum hatte sie sich an den
Tisch des Bürgermeisters gesetzt, stieg ihr trotz olfaktorischem Duftbollwerk die
gleiche undefinierte Note wieder in die Nase. Verwirrt schnupperte sie um sich.
Dann der nächste Stimmungsbremser. Vor ihr auf einem Holzbrett lag
eine unförmige Wurst. Hoffentlich musste sie nicht zusätzlich auch noch diesen
ekelhaft fettigen Presssack kosten, der direkt neben ihr auf dem Tisch stand.
Was soll’s, dachte sie dann resigniert. Dieser irrsinnige Tag konnte ja nicht
ewig dauern.
Der große Moment des Abends näherte sich. Bürgermeister Kuno Feiler
betrat das Podium und bekam feierlich den Briefumschlag vom Dorfkapellmeister
überreicht. Der Bürgermeister versuchte einen Gesichtsausdruck wie zur
Oscarverleihung aufzusetzen und wartete einen kurzen, bedeutungsschwangeren
Moment. Natürlich wusste er, was auf der Karte stand, er hatte sie ja selbst geschrieben.
Totenstille breitete sich im Saal aus.
Nur Monika Schlagbauer war mit ihren Gedanken bereits im Bett und
überlegte, welche Nachtcreme sie heute auftragen sollte.
»And the winner is …«, tönte es aus dem Mund des
Bürgermeisters, während er die Karte aus dem Briefumschlag zog. Ungläubig
blickte er auf den roten Karton in seinen Händen. Dann lächelte er breit und
rief mit lange eingeübter Begeisterung: »Monika Schlagbauer!«
Die Staatssekretärin wurde jäh aus ihren kosmetischen Träumen
gerissen, als um sie herum im Saal zögerlicher Applaus einsetzte. Man konnte
Bemerkungen hören wie: »Die is doch gar ned vo da.«, oder: »Na ja, hässlich is
die fei ned.«, bis hin zu: »Ja, is die überhaubd ledich?«
Schließlich wurde das Ergebnis von den Saalgästen akzeptiert, und
Monika Schlagbauer wurde noch leicht verdattert auf die Bühne geführt und auf
den Thron gesetzt. Lediglich die weiblichen Personen im Saal verstanden die
Welt nicht mehr, und die alte Kaddl schüttelte nur den Kopf.
*
Vom Schlaflager, das einen Stock höher lag, erklang ein
verzweifelter Schrei. »Sigi! Verdammt noch amal, was is denn los mit dir?
Hilfe! Hilfe!«, konnte man Ronald Wolf hören.
Alle am Tisch sprangen in böser Vorahnung von ihren Stühlen und
hetzten die Treppe hinauf. Als sie durch die offene Tür traten, bot sich ihnen
ein furchteinflößender Anblick. Sigismund Ludwig lag in unnatürlich verkrümmter
Haltung auf dem Fußboden des Schlafraumes, seine Brille, in kleine Stücke
zerbrochen, in der am weitesten entfernten Ecke. Er wirkte leblos. Aus seinen
offenen Augen tropfte eine orangefarbene Flüssigkeit.
Ronald Wolf kniete verzweifelt neben seinem Freund und schrie die
anderen förmlich an: »Er hat nur meinen Namen gerufen. Dann hat er ihn noch mal
geschrien, seine Brille weggeworfen und ist dann hier vor seinem Bett
zusammengebrochen!«
Manuela Rast fasste sich als Erste und fühlte dem am Boden liegenden
Sigismund Ludwig den Puls. Nach einer knappen Minute sprach sie das aus, was
alle Anwesenden schon befürchtet hatten. »Er ist tot«, sagte sie mit tonloser
Stimme und legte den Arm wieder zurück auf den Boden.
»Wir müssen die Bergwacht alarmieren, die Polizei!«, rief Ronald
Wolf in wilder Verzweiflung. Er konnte den Tod nicht so einfach akzeptieren.
»Daraus wird nichts werden«, meldete sich der bärtige Hüttenwirt zu
Wort. »Bei dem Sturm wird bis mindestens morgen früh kein Handy funktionieren.«
»Und was zum Teufel machen wir jetzt?«, fragte Frank Jessentaler,
der zum ersten Mal in seiner Tourguidekarriere nicht mehr weiterwusste. Auch er
war völlig geschockt.
Unterdessen traf der Hausherr eine Entscheidung. »Wir werden alles
so lassen, wie es ist, und den Schlafraum abschließen, bis morgen irgendwann
die Polizei oder die Bergwacht kommt.« Er blickte fragend in die Runde.
»Irgendwelche Einwände?«
Alle schüttelten den Kopf. Während sie schweigend die Treppe zur
Hüttenstube hinunterschritten, kullerte Manuela Rast eine stille Träne über die
Backe. Ute von Heesen nahm sie in den Arm. Ihre gemeinschaftliche
Alpenüberquerung hatte ein bitteres und plötzliches Ende gefunden.
*
»Luca« rauschte derweil mit immenser Geschwindigkeit über die Alpen
und machte sich auf den Weg Richtung Norden. Innerhalb weniger Stunden hatte er
bereits die Hälfte Süddeutschlands überquert und bereitete sich nun darauf
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