Blutfeuer
Schneise
bahnte. Er forderte noch ein spätes, letztes Todesopfer, dann, tief in der
Nacht, irgendwo im Thüringer Wald, löste sich auch dieser Wirbelsturm auf und
fiel unvermittelt in sich zusammen.
*
Ein Flussregenpfeifer weiblichen Geschlechts hatte sich an den
Gestaden des Flüsschens Effelder nahe Döhlau in Thüringen niedergelassen. Diese
Flussregenpfeiferin hatte sich erst im vergangenen Jahr zur Emigration aus dem
Fränkischen entschlossen, weil ein sonnenbrillentragender Grobmotoriker mit
Krokodillederstiefeln namens Lagerfeld ihr in diesem Sommer die fast fertig
ausgebrüteten Eier am Main zertreten hatte. Da hatte es ihr endgültig gereicht.
Das war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, und
sie hatte beschlossen, die Segel zu streichen und sich in einem friedlicheren
Umfeld mit einem halbwegs ertragbaren Idiom niederzulassen. Das kleine
Flüsschen kurz hinter der Grenze hatte vielversprechend ausgesehen, und binnen
kürzester Zeit hatte sie ein nettes Flussregenpfeifermännchen aus Zella-Mehlis
kennengelernt und eine Fünf-Eier-Multikulti-Familie gegründet.
Das war’s dann aber auch schon mit den guten Nachrichten. Sie hatte
kaum mit dem Brüten begonnen, da ließ sie der Thüringer wegen einer
buntfedrigen Schlampe aus Suhl sitzen. Dann hörte es auch noch auf zu regnen,
es wurde unerträglich heiß, und das kleine Flüsschen trocknete aus. Eine
Katastrophe für brütende Regenpfeifer. Und zu guter Letzt, als größte aller
Strafen, dieser schreckliche Dialekt. Wehmütig dachte die Pfeiferin an die im
Nachhinein doch nicht ganz so schlechten Tage am Obermain zurück.
Plötzlich aber, in den Stunden ihrer größten Verzweiflung, begann es
endlich wieder zu regnen. Seit einer halben Stunde schüttete es ununterbrochen.
Schon befand sich wieder genug Wasser im Flussbett. Was für eine wunderbare
Wendung der Dinge! Ihre Kinder waren kurz davor zu schlüpfen, und der Regen
brachte das lang ersehnte Nahrungsangebot für die kleinen flaumigen
Regenpfeiferbabys, die nun bald das Licht dieser schönen Welt erblicken würden.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Rauschen im Wald und das Knacken
und Fallen von Bäumen. Starker Wind kam auf. Erschrocken duckte sie sich über
ihre Brut, doch der Moment war schnell vorbei. Die Geräusche erstarben so
plötzlich, wie sie eingesetzt hatten. Ebenso der Wind. Auch der Regen tröpfelte
nach kurzer Zeit nur noch sanft auf den dampfenden Waldboden. Als sie nach oben
schaute, schimmerten bereits wieder die ersten Sterne durch die sich
verflüchtigende Wolkendecke. Sie erhob sich vorsichtig, blickte sich
sicherheitshalber noch einmal um und machte dann ein paar Trippelschritte
Richtung Wald, um zu sehen, ob sich schon der ein oder andere Wurm aus dem
nassen Boden gewagt hatte. Knackende Äste in der Baumkrone über ihr und ein
dumpfes Geräusch ließen die junge Mutter abrupt stehen bleiben. Ihr schwante
nichts Gutes. Sie wandte sich um, und die Wahrheit traf sie wie ein
Keulenschlag.
Quer über ihrem Gelege lag ein langes schwarzes Etwas, und ein
gelblicher Schalenbrei quoll darunter hervor. Das Etwas war eindeutig ein
weiblicher Mensch, trug ein schwarzes Ballkleid und roch ziemlich streng nach
Kuhstall und fränkischem Presssack. Die Flussregenpfeiferin trippelte näher
heran und stupste mit ihrem Schnabel vorsichtig gegen die schwarze Frau, aber
vergeblich. Die war hin.
Schließlich gab sie ihre Bemühungen frustriert auf und betrachtete
den leblosen Menschen, der da vor ihr lag. Den Gesichtszügen der Toten nach
hatte sie kein besonders glückliches Leben geführt. Als das
Flussregenpfeiferweibchen im weiteren Verlauf seiner Gedankengänge für sich
selbst zum gleichen Schluss kam, schockierte es diese Tatsache zutiefst. So wie
diese schwarze Frau, unglücklich, allein in der Fremde und schließlich tot vom
Himmel fallend, wollte sie nicht enden. Außerdem musste sie ja irgendwann auch
einmal mit der Brüterei zu Potte kommen. Wenn sie nicht bald einmal ein paar
lebende Küken zustande brachte, würde es im Alter mit ihren Rentenbezügen aber
mal richtig dünn aussehen.
Umgehend erhob sie sich in die nebligen Lüfte und flog schnurstracks
zurück Richtung Süden. Sie wollte nach Hause an den Main und noch einmal von
vorn anfangen. Es half nichts, man musste eben kompromissbereit bleiben. Gut,
die fränkischen Männer waren nicht besonders feinfühlig und tranken auch
ziemlich viel Bier, aber sie blieben wenigstens da.
Der Fluch der
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