Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Blick auf den Grabstein gerichtet. »Bitte gehen Sie. Ich muss meinen Dad finden. Gehen Sie nach Hause, Lucy.«
Sie gehörte nicht zur Familie und konnte ihm den Vater nicht ersetzen. Und doch nagte es an ihr, dass sie ihn weder trösten noch ihm behilflich sein konnte. Der arme Junge hatte so viel durchgemacht. Da stand er, an den Grabstein gelehnt, die Hände zu Fäusten geballt, und behielt für sich, was vierzehnjährige Jungen eben für sich behalten. Lucy fragte sich, ob Megan in einem Jahr auch so sein würde. Hoffentlich nicht.
»Auf Wiedersehen, Lucy.«
Trotz der Verabschiedung ging er nicht fort. Als wollte er sie auf die Probe stellen. Als wollte er sie herausfordern, zu gehen – oder zu bleiben. Sie zog den Brief aus einer ihrer Taschen und reichte ihn Adam. Er schüttelte den Kopf und versenkte die Hände in seinen Jackentaschen.
»Ich weiß, dass du den Brief geschrieben hast, Adam. Willst du mir nicht erzählen, warum?«
»In einem Moment kotze ich mir hinter dem Verbindungshaus noch die Eingeweide aus dem Leib und im nächsten wache ich in totaler Dunkelheit auf …«
Die Stimme der jungen Frau ebbte langsam ab. Das Aufnahmegerät registrierte ein kurzes, verzweifeltes Schniefen. »Dunkel. Es war so dunkel. Ich dachte, ich sei erblindet.«
Jenna lauschte der Aufnahme und der Stimme der Studentin der Universität von North Carolina. Währenddessen steuerte Bob das Auto zum Tatort.
»Ich war nackt. Es war kalt. Natursteinboden heißt das wohl. Es war jedenfalls zu uneben, das hatte niemand bearbeitet. Und dann das Echo. Jedes noch so kleine Geräusch schien einen aus zwanzig unterschiedlichen Richtungen zu überfallen. Er … er hatte mich mit Handschellen gefesselt. Zuerst auf dem Rücken. Irgendwann später kümmerte er sich nicht mehr darum. Aber als ich zum ersten Mal aufwachte, waren meine Hände auf dem Rücken gefesselt, und dann hatte ich noch dieses Halseisen um … Oh Gott, ich hasste dieses Halseisen. Mehr als die anderen Ketten oder die Handschellen. Das Halseisen war so schwer. Kalt. Wie tot. Ich kam mir vor, als sei ich gar kein Mensch. Dabei war ich das ja. Ich habe andauernd versucht, ihm das zu erklären. Habe ihm von meinen Eltern erzählt und von meinen Brüdern und Schwestern, und davon, welche Träume ich für mein Leben hatte.«
Es folgte eine weitere Pause, in der man das Rascheln von Kleenex-Tüchern und ein paar Schluchzer hörte.
»Am Anfang sprach er kein einziges Wort. Aber ich wusste, dass er da war. Ich konnte fühlen, wie er atmete, wie er mich beobachtete. Ich weinte und schrie und bettelte. Bis ich schließlich einfach … aufhörte. Ich konnte keinen weiteren Ton hervorbringen. Ich lag einfach auf dem kalten Stein und wartete ab, was als Nächstes passieren würde.«
Bob bog von der geteerten Straße ab und das Auto holperte über einen schmalen Schotterweg.
»Dann fing er an, mich mit Wasser zu überschütten. Dabei stand er immer hinter mir. Das Wasser war kalt, furchtbar kalt. Nicht so kalt wie seine Hände, mit denen er mich abtastete, um sich zu vergewissern, dass ich vollkommen nass war. Ich bettelte, mein Gott, ich weiß nicht mehr, was ich alles gesagt habe – egal was. Ich hoffte, es würde ihn umstimmen. Aber nichts funktionierte.«
Man hörte das Gemurmel eines Mannes, der eine Frage stellte.
»Was danach passierte? Er … er lachte. Sagte kein Wort. Nur sein Lachen echote und schallte. Das war schmerzhafter, als wenn er mich geschlagen hätte. Aber dann wurde alles still. Da war nur dieses laute Summen. Gott, wie ich dieses Summen hasste. Aber beim ersten Mal, als ich es das erste Mal hörte, wusste ich nicht, was es war. Nur, dass es nichts Gutes verhieß. Ich versuchte, wegzukommen. Ich rannte, so weit ich konnte, bis die Kette mich zurückriss und ich ausrutschte. Er rollte mich auf die andere Seite, so dass ich auf dem Rücken lag. Dann setzte er sich rittlings auf mich. Ich spürte seine Erektion. Er rieb sich weiter an meinem Körper. Aber ich sah nichts außer diesem einen winzigen Licht. Es brummte. Dann sprang es von rot auf grün. Dann berührte es meine Brüste und die ganze Welt schien in Flammen aufzugehen.«
Die Stimme der jungen Frau klang jetzt zutiefst gequält. Jenna nahm die Ohrstöpsel aus dem Ohr. Sie konnte – wollte – nicht weiter zuhören. Sie schlang die Arme um ihren Körper und gab vor, zu frieren. Bob drehte die Heizung im Wagen höher und richtete den Luftstrom auf sie. Was ihr nicht wirklich half, denn der
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