Blutflucht - Evolution
schwer verletzt hatte. Da wurde mir schlagartig bewusst, warum mir das Symbol auf dem Anstecker so bekannt vorgekommen war. Jack hatte recht, es war dasselbe Zeichen! LP. Es waren dieselben verschnörkelten Buchstaben!
Warum hatte ich es nicht sofort erkannt, als ich es das erste Mal in seiner Erinnerung gesehen hatte? Meine Eltern hatten doch genauso ein Schild getragen! War ich zu abgelenkt gewesen oder wollte ich die Wahrheit nicht akzeptieren? Jetzt war
ich
es, die ihn fassungslos anblickte. »Das kann nicht sein. Meine Eltern hätten nie … Sie waren gute Menschen! Das musst du mir glauben!«
Meine Eltern waren doch keine Verbrecher! Das wurde alles zu viel für mich. Erst der entsetzliche Überfall, danach das nervenaufreibende Verhör und jetzt stellte sich der Mann, in den ich mich so schwer verliebt hatte, auch gegen mich! Ich sackte vor ihm auf den Boden, wo ich am liebsten meine Verzweiflung aus mir herausgeschrien hätte. Eine ungeheuer große Welle aus Schmerz und Kummer erfasste meinen Körper, die jeden einzelnen meiner Muskeln erzittern ließ. Ich schluchzte in meine Hände und hörte nicht auf, mich zu schütteln. Es war, als wollten mich meine Gefühle von innen zerreißen. Mein ganzes Leben schien plötzlich über mir zu zerbrechen.
»Kate, es tut mir leid! Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, vernahm ich seine Stimme an meinem Ohr. Ich fühlte seinen Schmerz darüber, dass er mich so sehr verletzt und mir nicht vertraut hatte. »Ich hätte niemals an dir zweifeln sollen, Kate. Dich trifft ja keine Schuld für das, was deine Eltern getan haben. Kannst du mir verzeihen? Wie soll ich das je wiedergutmachen?«, fragte er traurig und hockte sich neben mich auf den Boden. Er weinte auch. »Ich habe solche Angst, dass sie mich erwischen. Noch einmal stehe ich das nicht durch«, flüsterte er mit bebender Stimme.
»Halt mich, Jack.« Ich schluchzte laut auf, als ich meine Hände vom Gesicht nahm. »Sag mir, dass alles nur ein böser Traum ist!«
»Du bedeutest alles für mich, Kate. Und
das
ist kein Traum. Bitte verzeih mir.«
Diesmal umschlossen mich seine starken Arme voller Zärtlichkeit, worauf ich kraftlos gegen seine Brust sank. Ich brauchte einen Moment, um das gerade Geschehene zu verarbeiten.
Er hatte gesagt, ich bedeutete alles für ihn. Hieß das, er liebte mich?
Jacks Körper zitterte ebenfalls. »Die Erinnerungen an dich haben mich im Institut vor diesen Monstern gerettet, so wie man jemanden in letzter Sekunde aus einem brennenden Haus rettet, und ich danke es dir, indem ich dich abgrundtief verletze. Bitte verzeih mir, Kate.«
Ich ließ diese machtvollen Worte in mein Herz sinken, worauf ich zu ihm aufblickte, direkt in seine sturmgrauen Augen. »Deine Reaktion ist absolut verständlich, wenn man bedenkt, was du alles durchgemacht hast. Natürlich verzeihe ich dir.«
Jack bedeckte mein tränenüberströmtes Gesicht mit Küssen, wobei sich mein bebender Körper langsam beruhigte.
Allein der Gedanke, dass meine Eltern für denselben Konzern gearbeitet hatten, der Menschen solche Grausamkeiten antat, brachte mein perfektes Bild über sie zu Fall. Die Arme fest um den Körper des Anderen geschlungen, saßen wir auf meinem Fußboden und wussten beide, dass uns von nun an nichts mehr trennen konnte.
Beim Klingeln meines Multi-Phones kam ich zu mir und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Es war noch einmal Sam. Diesmal klang seine Stimme ruhiger, doch ich hörte genug Aufregung aus ihr heraus. »Wie ist es gelaufen, Schätzchen?«
»Ich denke, sie haben keinen Verdacht geschöpft.« Möglichst unauffällig zog ich meine Nase hoch. Sam sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen.
»Da bin ich mir nicht so sicher. Sie beobachten dein Haus. Pass auf, dass Jack sich nicht am Fenster blicken lässt. Ron ist in einer halben Stunde im Keller und bringt Jack an einen sicheren Ort. Seine Sachen aus der Pension gebe ich ihm, wenn er die Stadt verlässt.«
»Ich werde mit ihm gehen, Sam«, sagte ich so ruhig wie möglich.
Mein Onkel klang alles andere als begeistert. »Kate, ist dir überhaupt bewusst, was das für dich bedeutet? Ständig auf der Flucht zu sein, nicht zu wissen, was einem der nächste Tag bringt? Hast du dir das alles gut überlegt?«
»Ja, das habe ich. Ich möchte bei Jack bleiben.« Als ich das sagte, blickte ich tief in Jacks Augen. Da nahm er meine Hand in seine; eine Geste, die mir weitere Zuversicht schenkte. Er wollte mich bei sich
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