Blutgeld
stattdessen anfing, «The Sound of Music» zu spielen, sprang Frank auf.
«Spiel ‹Hava Nagila›, du Wichser.» Der Geiger begann widerstrebend, das Lied zu spielen, so leise er konnte. Mehrere Araber verließen aus Protest den Saal.
«Ich dachte, du kannst die Israelis nicht leiden», sagte Sam.
«Stimmt. Aber die Araber kann ich genauso wenig leiden. Ich kann die Scheiße nicht mehr ertragen, die die verzapfen.»
Frank klatschte zum Lied mit und sang den «Ra-na na-na-na-na»-Teil selbst; Buhrufe von einigen verbleibenden arabischen Gästen waren die Reaktion. Als das Lied zu Ende war, meinte Sam, es sei Zeit zu gehen. Frank schlug einen Besuch im Casino de Genève vor und bot an, seinem Sohn zehntausend Dollar zu geben, wenn er mitkomme und ihm Gesellschaft leiste. Aber Sam sagte nein, es sei spät und er habe noch eine Verabredung im Hotel.
Als sein Taxi sich dem Hoteleingang näherte, sah Sam das Blaulicht der Polizei vor dem Intercontinental. Im Foyer war ein Pulk Schweizer Polizisten, die den Geschäftsführer des Hotels befragten. In Sams Herz war plötzlich Stille, eine Leere, eine Feuchtigkeit. Er ging zum Aufzug. Im achten Stock waren noch mehr Polizisten, und er musste seinen Zimmerschlüssel vorzeigen, um an der Wache vorbeizukommen. Als er den Flur hinunterging, spürte er, wie sich ihm die Kehle zuschnürte und das Gewicht der Angst auf diese leere Stelle in seiner Brust herabstürzte. Er drehte den Knauf. Das Licht brannte noch.
«Um Gottes willen!», sagte er leise. Er stolperte in den verwüsteten Salon, dicht übersät mit den Fetzen, die aus jedem Stück Stoff und der Möbel herausgerissen worden waren, und stieg über die zerschnittenen Sofakissen ins Schlafzimmer. Er zog die aufgeschlitzte Matratze zur Seite, um darunter nachzusehen, und ging dann ins Badezimmer, schob den Duschvorhang zur Seite, um die Wanne zu überprüfen. Er suchte unbewusst nach einer Leiche. Als er fertig war, ging er den gleichen Weg wieder zurück, sah in den Wandschränken nach, bis er wieder an der Tür war.
Dann entdeckte er die Reisetasche. Er machte sie auf. Ein Büstenhalter, ein Slip, eine Zahnbürste, eine Haarbürste. Er stieß einen Fluch aus und rief dann den Polizeibeamten, der weiter hinten im Flur stand. Er kam herbeigerannt.
«Merde!»
, sagte er, als er das Trümmerfeld sah. Als Sam ihm die Reisetasche mit den Frauensachen darin zeigte, benachrichtigte der Polizist sofort per Funk einen seiner Kollegen, die unten waren. Er nahm Sam bei der Hand und führte ihn nach unten. Seine Stimme hatte einen sanfteren Tonfall angenommen, als wolle er Sam auf etwas Unangenehmes vorbereiten.
«Wo gehen wir hin?», fragte Sam. Er sah in die Augen des Polizeibeamten, und ihm wurde mit diesem weichen, bestätigenden Blick geantwortet, der uns sagt, das unsere Ängste berechtigt sind.
«Es ist eine Frau erschossen worden», sagte der Polizeibeamte. «Wir haben ihre Leiche im Wald hinter dem Hotel gefunden.» Erst dann schrie Sam, vor Entsetzen, vor Wut über seine eigene Dummheit. Er hatte das Gefühl, in einem plötzlichen Anfall von Klarheit, als habe er Lina vom allerersten Moment, da er ihr begegnet war, zu dieser Stelle im Wald geführt.
Ein Kordon Schweizer Polizisten umringte Sam Hoffman, als er das Hotel durch den Hintereingang verließ. Er war benommen, mit versteinertem Gesicht, wie ein Gefangener, der zu seiner Hinrichtung geht. Leute sagten Dinge zu ihm, aber er hörte nichts. In seinem Kopf war ein leeres Knistern, wie der Klang von statischer Elektrizität auf einem Pullover. Die Leiche lag auf dem Gesicht, teilweise mit einer Decke bedeckt. Sam sah zuerst die weißen Schuhe mit Gummisohle, dann das Schwarz der Dienstmädchenuniform und dann das Gesicht.
Das Schlimmste war, dachte er später, wie erleichtert er gewesen war, als ihm klar wurde, dass die Tote jemand anders war. «Sie lebt», murmelte er. Ein Polizeibeamter legte schützend den Arm um Sam, im Glauben, er habe den Verstand verloren. «Sie lebt.»
Die Leiche, die zusammengekrümmt auf dem rohen Bett von Moos hinter dem Hotel lag, war die des türkischen Zimmermädchens, das die Abendschicht im achten Stock gemacht hatte. Sie war mit dem Pistolenknauf geschlagen und dann in den Kopf geschossen worden. Im Mund der Toten hatte die Polizei einen zerknüllten Fünfzig-Franc-Schein gefunden. Während Sam die Leiche betrachtete, dachte er an Lina und was sie mit ihr machen würden, wenn sie sie wieder nach Bagdad geschafft
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