Blutgeld
Körpers wieder an zu schreien. Er eilte zum Telefon und rief unten an, um Hilfe zu holen. Seine Panik schien Frank Hoffman wachzurütteln. Der Alte schlug die Augen auf und sah seinen Sohn an, versuchte wieder, Worte zu bilden, als sei es die letzte notwendige Aufgabe, die es zu erledigen galt, bevor er das Bewusstsein verlor.
«Was ist, Dad?»
«Keine Polizei», flüsterte er. «Ruf meinen Genfer Vorgesetzten an.» Er murmelte eine Genfer Telefonnummer und machte die Augen wieder zu. Sam küsste seinen Vater auf die Stirn. Die Polizei war schon unterwegs. Ein Krankenwagen war losgeschickt worden. Es war zu spät, um diese Sache noch diskret abzuwickeln.
Sam Hoffman verbrachte die ersten Stunden nach der Katastrophe in einem Zustand dumpfer Betäubtheit. Das einzig Wichtige für ihn war, dass sein Vater überlebte. Der Alte wurde ins Kantonale Krankenhaus gebracht und blieb bis zum Morgengrauen im OP . Den Schweizer Ärzten gelang es, zwei seiner Finger wieder anzunähen, beim dritten gaben sie es nach einiger Zeit auf, und mit den Zehen versuchten sie es erst gar nicht.
Später am Vormittag durfte Sam in das Aufwachzimmer und sich ans Bett seines Vaters setzen. Die Haut des Alten war weich und weiß, fast durchscheinend. In Nase und Armen hatte er Schläuche stecken; die Krankenschwestern kontrollierten seine Herzfunktion und die Medikamentendosierung. Er gehörte jetzt ihnen. Am späten Nachmittag hatte die Wirkung der Beruhigungsmittel nachgelassen, und der Chefchirurg machte eine Visite bei ihm. Er erzählte Frank zuerst die gute Nachricht – dass sie zwei Finger gerettet hatten – und dann die schlechte. Nur halb wach, sah Frank den Arzt an und öffnete die Lippen. «Ich werde Sie verklagen», sagte er schwach.
Am nächsten Morgen bekam Frank Besuch von einem Mann vom amerikanischen Konsulat. Sie unterhielten sich eine halbe Stunde lang unter vier Augen. Er ging danach zu Sam in die Besucherhalle und schlug ihm vor, draußen einen kleinen Spaziergang zu machen. Er sagte, er heiße Art. Er sah aus wie all die anderen Männer, die damals in Beirut Sams Vater immer besucht hatten: ein Gesicht, das teigig wirkte von zu viel Alkohol und zu wenig Sonne; ein Blick, der einmal scharf gewesen sein musste, aber jetzt stumpf war wie ein nicht geschliffenes Messer. Sie verließen das Krankenhaus und gingen Richtung See.
Art sagte, die Polizei habe zwei irakische Geheimdienstbeamte verhaftet, die bei der Mission der Vereinten Nationen in Genf arbeiteten, und sie des Mordes an Barakat und dem türkischen Zimmermädchen beschuldigt. Frank Hoffmans Name war in den Zeitungen noch nicht aufgetaucht, und beim Konsulat hoffe man, dass dies auch so bleibe. «Das ist eine Schachtel voller Würmer», wiederholte er mehrmals.
Beim Konsulat sei man der Meinung, sagte Art, es wäre ratsam, wenn Frank Hoffman die Schweiz verlasse, sobald er reisefähig sei. Die Schweizer seien nervös, und es sei gefährlich, hier zu bleiben. Beim Konsulat – Art bestand darauf, diese Umschreibung zu benutzen – habe man an dem Problem gearbeitet. Es sehe so aus, als könne man mit den Schweizer Behörden eine Abmachung treffen. Frank und Sam würden der Polizei gegenüber kurze Aussagen machen und versprechen, bei der bevorstehenden Bearbeitung des Falls mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Dafür würden die Schweizer sie ausreisen lassen. In dem Zusammenhang gebe es auch einen Fall von Bankbetrug, in den eine Privatbank verwickelt sei, die von jemandem namens Mercier geleitet werde, sagte Art. Die Schweizer seien bereit, auch in diesem Fall eine Strafverfolgung bis auf weiteres auszusetzen. Es sei ein sauberer Deal. Die Schweizer wollten die Dose mit den Würmern offensichtlich genauso wenig öffnen wie die Amerikaner.
«Ich tue alles, was mein Vater will», sagte Sam. Es klang lahm, selbst für ihn, aber es war das, was er tatsächlich empfand. Sein Vater wiederum wollte alles tun, was die amerikanischen Behörden wollten, was die ganze Sache erleichterte. Die Anwälte kamen, um Aussagen aufzunehmen und Vereinbarungen zu verhandeln.
Zwei Tage später verließen sie Genf und flogen nach Paris, wo Frank ins Amerikanische Krankenhaus kam. Frank sicherte sich ein riesiges Zimmer, von dem man einen Blick über den vornehmen Vorort Neuilly hatte. In der ersten Woche verbrachte Sam täglich fast vierundzwanzig Stunden am Bett seines Vaters. Sich um den alten Mann zu kümmern war für ihn eine Art Betäubung, die ihn davon abhielt,
Weitere Kostenlose Bücher