Blutgeld
hatten.
Die Schweizer Polizei verhörte Sam über eine Stunde lang. Sie brachten ihn zu seiner Suite zurück, ließen ihn seine Geschichte wiederholen und drohten halbherzig, ihn festzunehmen, weil er den Namen einer nicht existierenden Ehefrau angegeben hatte. Sam erzählte ihnen nur den kleinsten Bruchteil dessen, was er über die Ereignisse der vergangenen Tage wusste. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Er musste nachdenken. Es kamen immer wieder neue Polizeibeamte mit neuen Fragen und neuen Formularen. Im Flur wartete jemand vom amerikanischen Konsulat. Sam konnte sich schließlich loseisen, indem er sagte, dass er sich krank fühle. Es war nicht gelogen.
42
Es meldete sich niemand, als Sam Hoffman im Foyer des Noga-Hotels bei seinem Vater anrief. Sam sah zuerst in der Bar nach, in der Hoffnung, Frank dort sitzen zu sehen, wie Humpty Dumpty auf einem Pilz, einen Cognac schlürfend und seinen Mitsäufern irgendeine abwegige, freierfundene Geschichte über seine Abenteuer im Nahen Osten erzählend. Aber der Barkeeper sagte, Mr. Hoffman sei den ganzen Abend nicht da gewesen. Als Nächstes versuchte Sam es im Casino, hoffte, er würde seinen Alten über das Geländer des Würfeltisches gelehnt sehen, im Begriff, den Würfel zu beschwören. Aber dort war er auch nicht. Sam rief wieder oben in seinem Zimmer an, aber es meldete sich immer noch niemand. Er versuchte es in Asad Barakats Zimmer, spekulierte darauf, dass Frank vielleicht dort war und mit seinem Freund noch einen Schlaftrunk zu sich nahm. Aber auch dort war niemand zu erreichen. Mit einer bösen Vorahnung ging Sam zum Empfang.
«Mein Vater geht nicht ans Telefon», erklärte er dem Nachtportier. «Er ist ein alter Mann, und ich mache mir Sorgen, dass ihm was passiert ist.»
Der Nachtportier bat um Sams Ausweis, prüfte ihn kurz, nahm dann einen Zweitschlüssel und begleitete Sam zum Zimmer hinauf. Er war ein umständlicher Mann, ordentlich und genau. Als sie vor Franks Tür standen, klopfte der Portier leise an, dann fester. Während Sam neben ihm stand, glaubte ein Teil von ihm immer noch, dass sich die Tür öffnen und sein Vater fluchend in den Flur heraustorkeln würde. Aber die Tür ging nicht auf. Der Nachtportier klopfte noch einmal und wandte sich dann zu Sam. «Wir werden nachsehen.» Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn.
Sam betrat den Raum als Erster und rief unsicher: «Dad?» So wie es ein kleiner Junge im Dunkeln sagen würde.
Das Erste, was Sam sah, war Asad Barakats Körper, der in der Mitte des Zimmers mit dem Gesicht nach unten ausgestreckt lag. Um den Kopf hatte sich eine kleine Blutlache gebildet. «O mein Gott!», sagte Sam. Ihm war schwindlig. Ein paar Meter von Barakats Kopf entfernt lag ein Ohr. Es war ihm abgeschnitten und wie ein Stück Knorpel durchs Zimmer geworfen worden. Eine dünne Blutspur war auf dem Teppich entstanden. Der Nachtportier stand jetzt vor Barakats Leiche und schrie entsetzt auf. Sam ging zur Schlafzimmertür, die ein paar Meter entfernt war, und öffnete sie.
Auf dem Bett lag Frank Hoffman. Die Laken waren hellrot, nass von Blut, das aus einem Dutzend Wunden tropfte. Sam ging näher und prallte dann zurück. Neben der rechten Hand seines Vaters lag ein kleiner Meißel, nicht breiter als ein Männerfinger, an der Spitze klebten Haut- und Sehnenfetzen. Auf dem Tisch neben dem Bett lag ein Hammer. Sam war erstarrt, sein Atem setzte aus, kein Laut bildete sich in seiner Kehle. Er zwang sich, sich seinem Vater zu nähern und genauer hinzusehen. Ihm fehlten drei Finger, zwei rechts und einer links. Von jedem Fuß war ein Zeh abgetrennt worden.
Sam beugte sich über den geschundenen Körper. Er war geknebelt worden, aber als Sam das Ohr an seine Brust legte, konnte er das Herz noch schlagen hören. Er löste den Knebel, und ein delirierendes Gemurmel kam von Franks Lippen. Sam beugte sich hinab und flüsterte seinem Vater ins Ohr.
«Ich bin’s, Vater, Sam. Bitte stirb nicht.»
Frank stöhnte und murmelte wieder etwas, versuchte, Worte aus einem Körper herauszuzwingen, der wie tot war. Er röchelte einen
K
-Laut heraus, wie jemand, der stottert. «Sch», sagte Sam und streichelte ihm die Wange. Der Alte bewegte seine Hand, als wolle er nach dem Telefon greifen. Blut tropfte noch von den Stummeln, wo die Finger gewesen waren.
«Nicht bewegen», sagte Sam. «Es wird alles gut. Du wirst es schaffen.»
Der Nachtportier betrat das Schlafzimmer und fing beim Anblick des zweiten verstümmelten
Weitere Kostenlose Bücher