Blutgesicht
herausfiltern. Künstler, die sehr düster und sogar depressiv malten. Möglicherweise konnte sie mehr über Lassalle erfahren.
Auf ihn war sie durch ein Plakat aufmerksam geworden. Es war ungewöhnlich gewesen, denn es Zeigte in der oberen Hälfte die Stirn und die Augen des Mannes. Sein übriges Gesicht verschwamm in einer nebligen Landschaft, in der sich der Dunst verteilte, als bestände er aus zahlreichen Geistern.
Dieses Plakat hatte Jane förmlich in die Ausstellung hineingetrieben. Im nachhinein dachte sie anders darüber. Da sah sie das Plakat als Lockvogel an, der ausschließlich auf sie fixiert gewesen war.
Jane suchte die schmalen Rücken der I lullen ab und fand auch etwas über Maler der Gegenwart.
Sie schaute auf der Rückseite nach. Die Namen konnten nicht aufgeführt werden, nur ein paar waren zu lesen, oben die berühmtesten. Davon ließ sich Jane nicht abschrecken.
Sie gab dem Computer >Saft<, schob die CD-ROM in den Schlitz und wartete noch ab. Dabei lauschte sie, doch auf der Treppe hörte sie keine Tritte.
Dennoch schloß sie sicherheitshalber die Tür, bevor sie sich an die Arbeit machte.
Es gab ein Inhaltsverzeichnis auf der Kassette. Jane ließ es durchlaufen und war über die alphabetische Anordnung froh.
Sie fand den Namen Lassalle tatsächlich.
»Wer sagt’s denn«, freute sie sich und klickte genau diesen Namen an.
Das Bild wechselte. Jane rechnete damit, das Gesicht des Malers zu sehen. Den Gefallen tat man ihr leider nicht. Dafür wurden einige Bilder von ihm aufgeführt, die Jane der Reihe nach abrief.
Sie waren ihr bekannt, denn die hatte sie auch in der Ausstellung betrachtet. Gleichzeitig wunderte sie sich darüber, daß keine Biographie des Künstlers zu finden war. Er schien überhaupt nicht geboren, sondern aus dem Nichts gekommen zu sein.
Die Sammlung umfaßte genau 21 Bilder. Ob sie auch alle in der Ausstellung gezeigt worden waren, konnte die Detektivin nicht genau sagen. Sie holte auch das letzte Bild auf den Schirm, und genau in diesem Augenblick war ihre Lockerheit verschwunden.
Steif wie ein Eiszapfen saß sie vor dem Schirm und starrte ihn an. Was sie da sah, wollte sie nicht glauben. Das war er, das war Nathan Lassalle, und trotzdem war er es nicht, denn Jane schaute auf ein Bild des Künstlers.
Ein Selbstporträt!
Es war nur ein Bild auf einer CD-ROM. Nicht mehr und nicht weniger. Dennoch fühlte sie sich umzingelt. Ihr war, als hätte es der andere geschafft, in ihre kleine Welt hier einzudringen. Dabei gab es keinen Grund für ihre Furcht, denn das Bild, das sie sah, zeigte das normale Gesicht des Künstlers und nicht das blutbefleckte.
Es war Lassalle.
Nicht zu übersehen sein langes Haar. Die nach unten gezogene Nase mit dem knochigen Rücken und den breiten Nasenlöchern. Das traf alles hundertprozentig zu. Die hohe Stirn, die Brauen und natürlich die Augen mit dem stechenden Blick.
Genau dieser Blick hatte Jane schon einige Male nervös werden lassen. Sie erlebte keine direkte Angst, doch ein gewisses Unwohlsein war schon vorhanden.
Lassalles Augen starrten sie böse an. Sie schaute zurück. Ebenfalls kalt, ohne eine Wimper zu bewegen. Der Blick schien sie zu treffen und sezieren zu wollen. Ihr zu sagen, daß sie sich jetzt in seinem Dunstkreis befand, aus dem sie so leicht nicht mehr hervorkommen konnte.
Seine Aura hatte sie schon erlebt. Jane fragte sich, ob das hier auch der Fall sein würde. Sie schaute nicht weg. Es blieb bei ihrer Konzentration. Aber es kam nichts rüber. Der Blick blieb so starr, ohne daß sie darin eine Nachricht las.
Jane pustete die Luft gegen den Bildschirm und lehnte sich zurück. Die Lehne gab etwas nach. Es war wieder st) warm geworden hier oben. Die Heizung war an, allerdings nicht auf volle Kraft gestellt.
Jane leckte über ihre trockenen Lippen. Sie hätte zufrieden sein können und war es trotzdem nicht. Die CD-ROM gab im Falle des Nathan Lassalle einfach nicht viel her. Okay, da konnte man die Bilder abrufen, sogar sein Selbstporträt, aber so etwas wie ein Lebenslauf oder Werdegang war nicht vorhanden.
»Warum ist das so?« murmelte sie und trommelte dabei ungeduldig mit den Knöcheln auf die Schreibtischplatte. »Warum nur?«
Der Computer gab ihr keine Antwort. Die mußte sie selbst finden. Das war nur zu schaffen, wenn sie sich mit dem Maler selbst beschäftigte. Dazu noch persönlich, ihn selbst befragte. Dies bedeutete einen weiteren Besuch bei ihm.
Im Restaurant hatte er auf Jane den Eindruck
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