Blutgesicht
hinterlassen, daß sich beide nicht zum letztenmal begegnet waren. Er ging also davon aus, daß sie kommen würde. Wenn Jane ehrlich zu sich selbst war, dann reizte sie dieser Besuch schon, obwohl ihr das Blutgesicht nicht aus der Erinnerung weichen wollte.
Gehe ich allein hin oder nehme ich John mit? Sie beschäftigte sich bereits jetzt mit diesem Gedanken. Die Losung allerdings schob sie vor sich her. Da konnte sie sich in einigen Stunden noch entscheiden. Zudem war John zu Hause. Noch einmal rief sie die Bilder der Reihe nach ab und schaute sich jedes genau an. Jane wußte selbst nicht, was sie suchte. Im Zweifelsfall einen Hinweis auf das Blutgesicht, das wiederum fand sie auf den anderen Bildern nicht.
Sie hatte es auch bisher nur im Traum gesehen. Das gespeicherte Bild zeigte den normalen Mensch Lassalle und kein Monstrum mit einem blutigen Gesicht.
Nach einer halben Stunde gab die Detektivin auf, lehnte sich zurück, hob die Beine an und legte sie auf den Schreibtisch. Sie war schon in ihre eigenen Gedanken versunken und spürte jetzt auch, daß die Müdigkeit immer stärker wurde. Kein Wunder um zwei Uhr morgens. Jane überlegte nur noch, ob sie sich in das Bett in ihrem Schlafzimmer legen oder einfach hier oben bleiben sollte, wo auch eine Schalfcouch stand.
Eigentlich war sie zu träge, um aufzustehen.
Doch die Lethargie verschwand.
Von einer Sekunde zur anderen war sie hellwach, denn sie hatte etwas gehört.
Ein Geräusch.
Zunächst nicht zu identifizieren. Aber es war nicht weit von ihr entfernt aufgeklungen. Vielleicht sogar über ihr.
Sie schaute hoch.
Da war das Fenster, die Scheibe. Dahinter lauerte die Dunkelheit der Nacht.
Das war nicht alles. Jane Collins sah noch mehr. Genau in der Mitte der schrägen Scheibe malte sich etwas ab. Ein Alptraum für sie, denn sie starrte auf das Blutgesicht…
***
Das ist kein Traum! schoß es ihr durch den Kopf. Nein, das ist kein Traum. Das ist die verfluchte Realität, die wohl aus dem fürchterlichen Traum entstiegen ist.
Ihr fielen auch Lassalles Worte ein. Er hatte von einem Kreislauf des Schicksals gesprochen, in den der Mensch nicht eingreifen sollte. Jane fragte sich, ob Lassalle zu ihrem Schicksal werden würde.
Das Gesicht sah aus, wie sie es im Traum erlebt hatte. Blutig, sehr blutig sogar. Selbst aus den Augen sickerten die roten Tropfen. Nicht nur aus den Nasenlöchern oder dem Mund. Das Blut klebte auch auf der Stirn und den Wangen. Dort war es nur blasser zu sehen, als wäre es verwischt worden.
Jane Collins war abgestoßen und fasziniert zugleich. Fasziniert auch deshalb, weil sie das Gesicht nicht mehr nur als Traumgebilde sah. Was da hinter der Scheibe schwebte, war echt. Das hätte man anfassen und auch riechen könne.
Diese Fratze war widerlich. Das lange Haar umhing sie. Braune Strähnen, die vom oberen Teil der Stirn weg nach hinten gekämmt waren. Sie breiteten sich auf den Schultern aus und hingen sogar noch darüber hinweg, so daß ihre Spitzen in Höhe der Brustwarzen endeten.
Jane konnte dies erkennen. Die Tatsache sorgte bei ihr für einen heißen Schreck. Sie war nicht mehr nur vom Anblick des Gesichts abgelenkt, denn für sie stand jetzt fest, daß sie nicht nur das häßliche Blutgesicht sah wie im Traum, sondern auch noch einen Teil des Körpers. Das helle Hemd, dazu die Weste, sogar eine Kette schimmerte auf dem Stoff. Er war also selbst da!
Und er schwebte vor ihrem Fenster, um in den Raum zu schauen. Das hieß, er befand sich auf dem Dach. Es mußte ihm ein leichtes gewesen sein, das Dach zu erklettern. Vielleicht war er auch geschwebt wie eine übergroße Fledermaus. Eine Folge seiner Verwandlung, die Jane Collins ebenfalls mit dem Blut in direkten Zusammenhang brachte.
Der Künstler ein Vampir?
Möglich war alles. Jane hatte oft genug mit Blutsaugern zu tun gehabt. Sie wußte auch, daß diese sich in große Fledermäuse verwandeln konnten, da brauchte sie nur an Dracula II zu denken. Wenn dem tatsächlich so war, dann hätte sie jetzt weglaufen und ihre Waffe holen müssen, um die Gestalt mit einer geweihten Silberkugel zu beschießen.
Sie tat es nicht. Jane blieb stehen wie festgeleimt. Sie stand einfach nur auf der Stelle und ergab sich dieser Faszination. Es waren auch nicht nur die kleinen, bösen Pupillen, die sie zu durchbohren schienen mit ihrem bösen Blick, es war einfach die Gesamtheit des Gesichts, die Jane in den Bann zog.
Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Obwohl zahlreiche Gedanken durch
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