Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
der Interstate machen oder sich weit von zu Hause fortwagen, um ihren Wohlfühl-Bereich weit entfernt von forschenden Blicken einzurichten.
Bei allen angeblichen Regeln, die menschliches Verhalten betreffen, kann man von Glück reden, wenn man bessere Ergebnisse erzielt als der Zufall. Aber dass man von Peatys Apartment zu Michaela Brands Wohnung an der Holt mit dem Auto nur vier Minuten brauchte, war schwer zu ignorieren.
Ihr Apartmenthaus war ein pfefferminzgrünes Dingbat aus den Fünfzigern. Die Vorderseite war ein offener Carport hinter ölbeflecktem Beton. Sechs Parklücken, die bis auf einen staubigen braunen Dodge-Kleinbus leer waren. Die Fassade war von zwei olivgrünen Rauten eingefasst. Sprenkel im Stuck fingen das Nachmittagslicht ein.
Eine Reihe von verschlossenen Briefkästen, die in die Wand unmittelbar südlich des Parkbereichs eingelassen waren, trugen keine Namen, sondern nur die Apartmentnummern. Kein Hinweis auf einen Hausverwalter. Michaelas Fach war fest verschlossen. Milo spähte durch den Schlitz. »Da ist eine Menge Zeug drin.«
Ihr Apartment lag nach hinten raus. Lamellenfenster, nicht jünger als das Gebäude: der Traum eines Einbrechers. Die Glaslamellen waren geschlossen, aber grüne Vorhänge standen leicht offen. Es war dunkel drinnen, aber die Umrisse der Möbel waren deutlich zu sehen.
Milo begann an Türen zu klopfen.
Die einzige, bei der er Erfolg hatte, wurde von einer Frau in den Zwanzigern geöffnet, die eine steife, brandyfarbene Perücke und ein wadenlanges Trägerkleid über einem weißen, langärmligen Sweater trug. Angesichts der Perücke dachte ich automatisch an eine Chemotherapie, aber sie war drall, und ihre grauen Augen waren klar. Sie hatte den gleichen leicht sommersprossigen Teint, mit dem Michaela Brand gesegnet gewesen war. Ihr offenes Gesicht war angespannt vor Erstaunen.
Ich sah die Schläfenlocken und die Jarmulke an dem sich windenden blonden Jungen, den sie im Arm hielt, und begriff: Manche orthodoxen jüdischen Frauen bedeckten ihr natürliches Haar aus Gründen der Sittsamkeit.
Das Abzeichen veranlasste sie, ihren Sohn fester an die Brust zu pressen. »Ja?«
Der Junge streckte Arme und Beine gleichzeitig ruckartig nach außen, und sie hätte ihn fast fallen lassen. Er schien etwa drei Jahre alt zu sein. Er war kräftig und stämmig, wand und drehte sich und stieß kurze, knurrende Geräusche aus.
»Ruhig jetzt, Gershie Yoel!«
Der Junge schwenkte eine Faust. »Held, Held Yehudah ! Fallt den Elefanten um!«
Er wand sich noch ein bisschen, bis sie aufgab und ihn absetzte. Er wiegte sich auf den Füßen hin und her und knurrte noch ein bisschen. Er starrte uns an und sagte: »Fallt um!«
»Gershie Yoel, geh in die Küche und nimm dir ein Plätzchen - aber nur eins. Und weck die Babys nicht auf!«
»Held-Held! Yehudah HaMa kah bä wird euch böse Griechen aufspießen!«
»Geh jetzt, mein Lieber, oder es gibt kein Plätzchen!«
»Grr!« Gershie Yoel lief davon, vorbei an Wänden, die mit Bücherregalen bedeckt waren. Bücher auf jedem Tisch und der Couch. Der verbliebene Raum war vollgestellt mit Laufgittern und Spielzeug und Paketen mit Wegwerfwindeln.
Die Schreie des Jungen wurden leiser.
»Er feiert immer noch das Fest«, sagte die junge Frau.
»Chanukka?«, fragte Milo.
Sie lächelte. »Ja. Er glaubt, er wäre Yehudah - Judas Makkabäus. Der ist ein großer Held in der Chanukka-Geschichte. Der Elefant stammt aus einer Geschichte über einen seiner Brüder -« Sie brach ab, errötete. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wir sind hier wegen einer Ihrer Nachbarinnen, Mrs. …«
»Winograd. Shayndie Winograd.«
Milo ließ sie den Namen buchstabieren und schrieb ihn auf.
»Sie brauchen meinen Namen?«, fragte sie.
»Nur der Ordnung halber, Ma’am.«
»Mit den Punk-Rockern hat es nichts zu tun?«
»Mit welchen Punk-Rockern?«
Sie zeigte auf ein Apartment, das zwei Türen den Flur hinunter lag. »Dort drüben, Wohnung vier. Es sind drei, sie halten sich für Musiker. Mein Mann sagt, es wären Punk-Rocker, ich hab von solchen Dingen keine Ahnung.« Sie hielt sich die Ohren zu.
»Lärmbelästigung?«, fragte Milo.
»Früher ja«, sagte Shayndie Winograd. »Jeder hat sich beim Hauseigentümer beschwert, und seitdem ist es okay … entschuldigen Sie mich eine Sekunde, ich muss nach den Babys sehen, kommen Sie bitte herein.«
Wir nahmen die Bücher von einer braunen Kordsamt-Couch. Kunstlederbände, die hebräische Titel in
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