Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
fünf andere Kinder, um die sie sich kümmern musste - die Jüngste ist dreizehn und lebt noch bei uns. Beschäftigt zu sein, das ist die beste Therapie. Dann denkt sie nicht so viel an Tori.«
Milo nickte und trank Tee. Nun hob auch Giacomo sein Glas und trank.
»Schmeckt wie Bud«, sagte er. »Was ist das für ein Lokal, ein Pakistaner?«
»Ein Inder.«
»Die haben wir da, wo ich herkomme, auch.«
»Inder?«
»Sie und ihre Restaurants. Ich bin noch nie in einem gewesen.«
»In Bayside«, sagte Milo.
»Ich bin dort aufgewachsen und dort geblieben. Es hat sich gar nicht so sehr zu seinem Nachteil verändert, außer dass wir jetzt neben den Italienern und Juden auch noch Chinesen und Inder haben. Ich hab ein paar ihrer Waschmaschinen repariert. Waren Sie schon mal in Bayside?«
Milo schüttelte den Kopf.
Giacomo schaute mich an.
»Ich bin nur in Manhattan gewesen«, sagte ich.
»Das ist die City. Die City ist für die Stinkreichen und für die Obdachlosen, da ist nicht genug Platz für die normalen Leute dazwischen.« Er nahm einen großen Schluck Bier. »Eindeutig Bud.« Er legte die Hände auf den Tisch und spannte die Unterarme an. Sehnen traten hervor. Wieder die großen weißen Zähne. Begierig, in etwas zu beißen.
»Tori wollte bemerkt werden. Seit sie ein kleines Mädchen war, sagte meine Frau zu ihr, sie sei etwas Besonderes. Sie nahm sie zu diesen Schönheitswettbewerben für Kinder mit, und wenn sie gewann, war meine Frau glücklich. Tanzund Gesangsunterricht, all die Theateraufführungen in der Schule. Das Problem war nur, Toris Noten waren nicht so toll, in einem Halbjahr drohten sie ihr damit, sie müsste die Theatergruppe aufgeben, wenn sie in Mathematik nicht bestand. Sie hat dann ein Ausreichend geschafft, aber ohne die Drohung wäre das nicht passiert.«
»Schauspielern war die Hauptsache für sie«, sagte ich.
»Ihre Mutter hat ihr immer gesagt, sie könnte ein großer Filmstar werden. Sie hat sie ermutigt, was angeblich gut für ihre Selbstachtung war. Klingt super, hat Tori aber auch Flausen in den Kopf gesetzt.«
»Ambitionen«, sagte ich.
Giacomo schob sein Glas weg. »Tori hätte nie hierherkommen dürfen - was wusste sie denn schon davon, auf sich allein gestellt zu sein? Sie war zum ersten Mal überhaupt in einem Flugzeug. Das hier ist eine verrückte Stadt, stimmt’s? Sagen Sie mir, ob ich damit unrecht habe.«
»Es kann hart sein«, sagte Milo.
»Verrückt«, wiederholte Giacomo. »Tori hat in ihrem Leben keinen Tag gearbeitet, bevor sie hierherkam. Bis zur Geburt unserer Jüngsten war sie die einzige Tochter...«
»Hat sie zu Hause gewohnt, bevor sie nach L.A. ging?«
»Immer, und ihre Mutter hat alles für sie erledigt. Sie hat ja nicht mal ihr Bett selber gemacht. Deswegen war es auch verrückt, dass sie aus heiterem Himmel ihre Sachen packte.«
»Es war eine plötzliche Entscheidung?«, fragte ich.
Giacomo runzelte die Stirn. »Ihre Mutter hatte ihr seit langem damit in den Ohren gelegen, aber als sie es dann ankündigte, war es plötzlich ganz recht. Tori war seit neun Jahren mit der Highschool fertig, aber sie hatte nichts gemacht außer Heiraten, und das hat nicht lange gehalten.«
»Wann hat sie geheiratet?«, fragte Milo.
»Mit neunzehn. Ein Junge, mit dem sie in der Highschool gegangen ist, kein schlechter Kerl, aber nicht besonders schlau.« Giacomo tippte sich an den Kopf. »Anfangs hat Mikey für mich gearbeitet, ich habe versucht, ihnen zu helfen. Der Junge kapierte einfach nicht, wie man mit einem verflixten Inbusschlüssel umgeht. Also hat er stattdessen bei seinem Onkel angefangen.«
»Was macht er da?«
»Müllabfuhr, wie der Rest der Familie. Gute Bezahlung und Sozialleistungen, man ist in der Gewerkschaft, es geht nur darum, wen man kennt. Hab ich früher selbst gemacht, aber man kommt stinkend nach Hause, und das bin ich schließlich leid gewesen. Tori sagte, Mikey hätte gestunken, wenn er nach Hause kam, der Gestank ließ sich einfach nicht abwaschen. Vielleicht war das der Grund, warum sie die Ehe für ungültig hat erklären lassen, ich weiß nicht.«
»Wie lange hat die Ehe gedauert?«, fragte Milo.
»Drei Jahre. Dann saß sie wieder zu Hause rum und tat fünf Jahre lang nichts, abgesehen von Vorsprechen für Werbespots, Mannequinsachen und so weiter.«
»Hat sie je was bekommen?«
Giacomo schüttelte den Kopf. Er beugte sich nach unten, zog einen Reißverschluss an dem Koffer auf und holte zwei Porträtaufnahmen heraus.
Tori
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