Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
Giacomos Gesicht war um Millimeter länger als das perfekte Oval. Fedrige falsche Wimpern über riesengroßen dunklen Augen. Zu dunkler Lidschatten aus einer anderen Ära. Das gleiche gespaltene Kinn wie ihr Vater. Hübsch, vielleicht an der Grenze zur Schönheit. Ich hatte ein paar Sekunden gebraucht, um zu diesem Schluss zu kommen, und in einer Welt, in der es auf blitzartige Eindrücke ankommt, würde das nicht reichen.
Auf einem Foto waren ihre Haare lang, dunkel und lockig. Auf dem anderen hatte sie einen schulterlangen, platinblonden Schnitt.
»Sie ist immer ein großartig aussehendes Kind gewesen«, sagte Lou Giacomo. »Aber das ist nicht genug, nicht wahr? Man muss unmoralische Dinge tun, um vorwärtszukommen. Tori ist ein braves Mädchen, sie hat am Sonntag nie eine Messe verpasst, und zwar nicht, weil wir sie gezwungen hätten. Meine älteste Schwester ist Nonne geworden, und Tori hat Mary Agnes immer nahegestanden. Mary Agnes hat ihre Beziehungen zum Monsignore spielen lassen, um die Annullierung der Ehe durchzukriegen.«
»Tori hatte eine spirituelle Seite«, sagte ich.
»Ausgesprochen spirituell. Als ich hier in L.A. war, hab ich festgestellt, welche Kirchen in der Nähe ihres Apartments lagen, und bin zu allen hingegangen.« Giacomos Augen wurden schmal. »Niemand kannte sie, nicht die Priester, nicht die Sekretärinnen, niemand. Daher wusste ich von vornherein, dass irgendetwas nicht stimmte.« Sein Gesichtsausdruck besagte, dass er das in mehr als einer Hinsicht meinte.
Ich sagte: »Tori hatte aufgehört, zur Kirche zu gehen.«
Giacomo setzte sich gerade hin. »Einige von diesen Kirchen machten nicht viel her, nicht wie St. Robert Bellarmine, wo meine Frau hingeht, das ist eine Kirche . Also wollte Tori vielleicht eine schöne Kirche, wie sie es gewohnt war, keine Ahnung. Ich bin zu der größten gegangen, die ihr hier habt, in Downtown. Hab mit einem Assistenten des Assistenten des Kardinals gesprochen oder so. Weil ich dachte, sie hätten vielleicht ein paar Aufzeichnungen. Auch da wusste niemand das Geringste über sie.« Er lehnte sich zurück. »Das wär’s. Fragen Sie mich, was Sie wollen.«
Milo begann mit den üblichen Fragen, angefangen bei Toris Exmann, dem nicht besonders klugen, übelriechenden Mikey.
Lou Giacomo sagte: »Mortensen wollte das auch wissen. Also sage ich Ihnen, was ich ihm gesagt habe: Nie im Leben. Erstens kenne ich die Familie, und es sind gute Leute. Zweitens ist Mikey ein braver Junge, der weiche Typ, wissen Sie? Drittens sind er und Tori Freunde geblieben, es gab kein Problem, sie waren einfach zu jung. Viertens hat er New York nie verlassen.« Er schnaubte, warf einen Blick über die Schulter. »Nicht viel los in dem Lokal hier. Gibt’s ein Problem mit dem Essen?«
»Wie oft hat Tori zu Hause angerufen?«
»Zweimal pro Woche hat sie mit ihrer Mutter telefoniert. Sie wusste, ich war nicht glücklich darüber, dass sie ihre Sachen gepackt und uns verlassen hatte. Sie glaubte, ich würde nichts verstehen.«
»Was hat sie ihrer Mutter erzählt?«
»Dass sie ihren Lebensunterhalt mit Trinkgeldern bestritt und Schauspielerei lernte.«
»Wo lernte sie das?«
Giacomo runzelte die Stirn. »Hat sie nie gesagt. Ich hab meine Frau extra noch mal gefragt, nachdem ich mit Ihnen gesprochen hatte. Sie können sie anrufen und ihr alle Fragen stellen, die Sie möchten, aber sie wird nichts tun als weinen, glauben Sie mir.«
»Geben Sie mir Mikeys Nachnamen«, sagte Milo. »Der Ordnung halber.«
»Michael Caravanza. Arbeitet bei der Müllabfuhr Forest Hill. Nach der Trennung wirkten er und Tori glücklicher als bei der Hochzeit. Als ob sie beide frei wären oder so.« Er schnaubte. »Als ob man jemals frei wäre. Los doch, fragen Sie weiter.«
Zehn Minuten zusätzlicher Fragen enthüllten die traurige Wahrheit: Louis Giacomo junior wusste herzlich wenig über das Leben seiner Tochter, seit sie in L.A. angekommen war.
Milo sagte: »Der Artikel über Michaela Brand hat Ihre Aufmerksamkeit erregt.«
»Die Sache mit der Schauspielerei, wissen Sie.« Giacomo ließ die Schultern hängen. »Als ich ihn las, wurde mir übel. Ich will nicht an das Schlimmste denken, aber es ist zwei Jahre her. Egal, was ihre Mutter sagt, Tori hätte angerufen.«
»Was sagt ihre Mutter?«
»Arlene hat sich verrückte Ideen in den Kopf gesetzt. Tori hat einen Milliardär kennen gelernt und ist irgendwo auf einer Jacht unterwegs. Derartigen Blödsinn.« Das Weiße in Giacomos Augen hatte sich
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