Blutheide
saßen ein paar vereinzelte Gäste, aber richtig voll war es nicht. Er entdeckte seinen Zwilling hinter dem Tresen, wo dieser mit einem blonden Mädchen sprach. Als sie sich umdrehte, erkannte Ben in ihr die junge Hotelangestellte, die die Leiche im Wasser an der Hotelterrasse gefunden hatte: Jana Helm. Sie schaute sich aufmerksam in der Bar nach eventuellen neuen Wünschen der Gäste um, bis ihr Blick an dem Kommissar hängen blieb. Verwirrt schaute sie zu Bene und dann wieder zu Ben. Bene grinste die junge Kollegin an: »Tja, Helmchen, da staunst du – mich gibt es gleich zweimal.«
»Scherzkeks, ich hab durchaus in meinem Leben schon mal Zwillinge gesehen. Aber dass man erstmal irritiert guckt, ist doch wohl normal.« Jana schmollte gespielt. »Außerdem sollst du mich nicht Helmchen nennen!«
»Schon gut, Helmchen«, konnte Bene es sich nicht verkneifen und tat so, als müsste er einem drohenden Schlag der blonden Kellnerin ausweichen. »Spaß beiseite – kannst du kurz die Bar allein schmeißen? Mein Bruder sieht aus, als wenn er nicht zum Cocktailtrinken gekommen ist.«
Bene überspielte seine Unsicherheit. Jana Helm hatte von der Geschichte mit dem Ranzen nichts mitbekommen, ihre Schicht hatte erst begonnen, nachdem die Streife das Paket bereits abgeholt hatte. Bene aber wollte von seinem Bruder wissen, worum es nun eigentlich ging. »Ich bin gleich wieder da, okay?«, fragte er eher rhetorisch an die junge Frau gewandt.
»Keine Sorge, ist ja nicht so, dass die Leute hier im Moment den Tresen stürmen«, antwortete sie schmunzelnd. »Das werde ich wohl gerade noch allein schaffen.«
Bene trat seinem Zwillingsbruder entgegen, der sich an den Flügel lehnte, der in der Bar stand, heute aber nicht genutzt wurde.
»Hallo, Bruderherz«, versuchte Bene selbstsicher zu starten, »schon wieder Sehnsucht nach der verschollenen zweiten Hälfte?«
Ben Rehder konnte seinem Bruder die so offensichtlich gespielte Fröhlichkeit und Selbstsicherheit nicht übel nehmen. Auch für ihn war es nach wie vor ein seltsames Gefühl, seinem Bruder wieder Auge in Auge gegenüberzustehen, und jeder ging eben anders mit solchen Situationen um.
»Hallo, Bene«, erwiderte er daher sachlich, aber nicht unfreundlich. »Ich muss mit dir reden, ich mach es auch kurz. Du hast schließlich deinen Job zu machen, aber es ist wichtig: Julie möchte dich sprechen, morgen Vormittag, und ich bitte dich, geh hin.«
»Julie? Sie ist tatsächlich noch in Lüneburg?« Bene war sichtlich überrascht, wie es Ben schien. »Ich habe vorhin erst an sie gedacht und wollte dich ohnehin nach ihr fragen.« Bene blickte seinen Zwilling unsicher an: »Du hast also noch Kontakt zu ihr und hast ihr erzählt, dass ich wieder da bin?«
»Es ging nicht anders, Bene, ich musste es ihr sagen. Bitte triff sie morgen, dann wirst du es verstehen.« Ben hasste diese Heimlichtuerei, aber diesmal würde er Julie nicht enttäuschen. Sie allein sollte Bene die Augen öffnen, was er vor acht Jahren tatsächlich alles aufgegeben und zurückgelassen hatte. Trotzdem musste er Bene eine Frage stellen, wohlwissend, dass der den Zusammenhang nicht würde verstehen können. Zumindest noch nicht. »Bene«, sagte er daher ruhig, »falls es irgendjemanden gibt, der mit dir noch eine Rechnung offen hat und dir möglicherweise schaden will, dann bitte ich dich, es mir zu sagen. Es könnte wirklich wichtig sein!«
»Nein«, Bene sah seinen Bruder mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung im Blick an. »Ist es wegen dieser Schulranzensache? Ich hab keine Ahnung, warum ich den bekommen habe. Vielleicht einfach nur weil ich dein Bruder bin und jemand dich auf dem Kieker hat! Vielleicht einer, den du mal verknackt hast und der dann sein Kind nicht hat aufwachsen sehen können. Ach, was weiß denn ich, aber sicher wurde er nicht umsonst von einer Polizeibeamtin hier abgeholt, oder? Ach, vergiß es einfach. Du wirst es mir eh nicht erzählen, aber ob du es mir nun glauben willst oder nicht: Ich habe mich geändert und mit meiner Vergangenheit komplett abgeschlossen. Also – wo und wann soll ich Julie treffen?«, endete er barsch und sah Ben direkt in die Augen. Er kannte Ben trotz der langen Trennung gut genug, um noch zu wissen, dass es hier nicht lohnte, mehr aus ihm heraus kitzeln zu wollen. Nicht was den Schulranzen anging und schon gar nicht, was Julie betraf.
»Morgen früh um 10.00 Uhr«, antwortete Ben dann auch tonlos, »am Brunnen vor dem Rathaus.«
23.37 Uhr
Nachdem er
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