Blutheide
bei Yvonne Ronneburg war zwar kurz, aber trotzdem bedrückend gewesen. Wie sollte man auch eine Mutter trösten, wenn deren Kind verschwunden war und vom ihm seit Stunden jedes Lebenszeichen fehlte? Zu Katharinas Erleichterung waren die Eltern von Yvonne bei ihrer Tochter gewesen und würden auch die Nacht dort verbringen. Katharina hatte alle über den aktuellen Stand der Ermittlungen informiert und erneut versprochen, dass sie alles tun würden, um Laura schnell und unversehrt wieder nach Hause zu bringen. Dann hatte sie sich leise verabschiedet und war mit beklommenem Gefühl nach Hause gegangen. Sie hätte sich frische Luft gewünscht, doch über der Stadt hing eine bedrückende Schwüle. In der Wohnung angekommen, schmiss Katharina daher als Erstes die verschwitzten Sachen in die Kiste im Bad, die als provisorische Wäschetruhe in ihrer immer noch nicht fertig eingerichteten Wohnung diente. Unter dem kühlenden Wasserstrahl der Dusche gelangte wieder etwas Kraft in ihren Körper.
Mit nassen Haaren und nur in einen dünnen Bademantel gehüllt, setzte sich Katharina einige Minuten später an die geöffnete Balkontür auf den Fußboden. Sie legte den Kopf an die kühle Fensterscheibe, zündete sich eine Zigarette an und ließ kurz die Gedanken schweifen. Was für eine irrwitzige Situation. Bene, der Vater von Leonie … sie konnte es noch immer kaum glauben. Offenbar hatten er und Julie aber tatsächlich keinen Kontakt gehabt, denn sonst wäre Bene spätestens bei seinem Besuch in Katharinas Wohnung über die Adresse gestolpert. Auf die Namensschilder an der Außenklingel hatte er vermutlich nicht geachtet. Warum auch, er hatte ja nur nach dem Namen von Katharina gesucht. Außerdem – erst jetzt fiel es Katharina wieder ein – stand auf dem Schild zur Nachbarwohnung lediglich Juliane und Leonie L. Was, wenn Juliane und Bene sich zufällig im Hausflur begegnet wären? Wie würde Bene reagieren, wenn er von seiner Tochter erfuhr? Katharina versuchte, die Gedanken wegzuwischen. Das war nicht ihr Problem. Viel wichtiger war jetzt, dass sie eine Spur zu Laura fanden. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und zog die Unterlagen zu sich heran, die neben dem Sofa auf dem Fußboden lagen. Katharina gähnte, doch an Schlaf dachte sie nicht. Sie war fest entschlossen, das Profil des Täters heute Nacht noch deutlicher herauszuarbeiten. Nach der unbefriedigenden Information des Einsatzleiters war das momentan ihre einzige Hoffnung, irgendwie voranzukommen. Nur wenn sie den Täter besser einschätzen konnten, würde es ihnen möglich sein, ihn zu stoppen.
20.46 Uhr
Ben trat auf die Straße und atmete tief durch. Julie hatte ihn angehört, und dafür war er ihr dankbar. Wütend war sie nach wie vor, aber sie hatte Bens Erklärungen akzeptiert. Es war ein gutes und sehr ruhiges Gespräch gewesen. Beide hatten penibel darauf geachtet, dass Leonie nichts mitbekam. Die Kleine hatte zwar bereits im Bett gelegen, aber dass sie nach den Aufregungen des Tages bereits schlief, war eher unwahrscheinlich.
Julie hatte schon konkrete Vorstellungen auf den Tisch gebracht, als Ben bei ihr angekommen war. Sie selbst wollte mit Bene sprechen. Der Kommissar hatte ihr angeboten, seinen Zwilling aufzuklären, doch ihm war klar gewesen, dass Julie das Angebot nicht annehmen würde. Sie war nicht der Typ Frau, der sich drückte. Und sie stand ganz klar zu der Aussage, dass sie sich nichts vorzuwerfen hatte, sondern Bene. Sie wollte ihm in die Augen sehen, sein Gesicht sehen, wenn er – nach acht Jahren ohne Lebenszeichen – von seiner Tochter erfuhr. Über das wie, wo und wann hatten Ben und Julie gesprochen. Beiden war klar, dass sie die Sache nicht mehr stoppen und aufgrund der Geschehnisse Eile geboten war. So hatten sie sich darauf geeinigt, dass Ben auf seinem Weg nach Hause im Hotel Heideglanz bei Bene vorbeigehen würde.
Gerade als Ben das Foyer des Hotels betrat, erreichte ihn eine SMS. Sie war von Tobi, der ihm mitteilte, dass es sich bei dem Geschreibsel auf dem Zettel aus dem Ranzen um das Zitat einer sogenannten Erleuchteten handelte. Weiter schrieb Tobi, dass er glaube, der Täter könnte es sich ausgesucht haben, weil es in irgendeiner Weise zu seinem geplanten Vorgehen passe und außerdem auch gut zu dem Gedicht von Fried. Zum Lesen der SMS war Ben kurz stehen geblieben. Unwillkürlich nickte er jetzt mit dem Kopf, weil er Tobi recht gab. Dann setzte er seinen Weg fort und ging zielstrebig in die Bar. Hier und da
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