Blutheide
Zeit verlieren. Außerdem müssen wir den Weg abgehen lassen, den Leonie wahrscheinlich von der Schule aus nach Hause gegangen ist. Auch die Nachbarn sollten schnellstmöglich befragt werden. Mir ist klar, dass wir die Nadel im Heuhaufen suchen, aber vielleicht haben wir ja Glück. Wenn du alles organisiert hast, fährst du bitte zu Lauras Mutter. Bringe ihr schonend bei, soweit das möglich ist, wohin unsere Vermutungen gehen. Versichere ihr, dass wir alles tun, um Laura zu finden. Ich weiß, das ist der unangenehmste Teil, aber von Frau zu Frau ist es vielleicht zumindest ein kleines bisschen leichter. Ich werde noch einmal zu Leonies Mutter fahren. Sie sollte von unserer Vermutung ebenfalls wissen, allein für den Fall, dass der Täter seinen Irrtum bemerkt und ihn korrigieren will. Und ich werde versuchen, sie dazu zu bringen, meinem Bruder die Wahrheit zu sagen, bevor ich es tun muss.«
Katharina hatte keine Miene verzogen. Ben war nicht sicher, ob das reine Professionalität war, oder ob die Kollegin glaubte, eines der kleineren Übel übernehmen zu müssen.
Tobi griff bereits mit Handschuhen an den Händen nach dem Ranzen und dem Zettel, der noch auf dem Tisch lag, und sagte: »Okay, Chef, dann mach ich mich auf den Weg. Sobald ich zu dem Text was sagen kann, melde ich mich bei euch, ja?«
»Ich denke, wir sehen uns morgen früh – sehr früh – hier wieder. Wir brauchen erstmal die Ergebnisse der KTU, deine Info zum Text, und ich will noch wissen, ob Leonie vielleicht in den letzten Tagen jemand aufgefallen ist, der sie beobachtet hat oder so. Ich werde also auch einige Zeit brauchen.« Ben sah zu Katharina. »Und du wirst dir für Lauras Mutter auch ein bisschen Zeit nehmen müssen. Vielleicht kann sie jemanden zu sich holen, damit sie in dieser Situation nicht allein ist. Bring auf jeden Fall bitte ein aktuelles Foto von Laura mit. Stellt euch drauf ein, vorerst wenig Schlaf zu bekommen. Wir sehen uns hier morgen früh um acht Uhr wieder.«
Tobi verschwand bereits aus der Tür des Büros, und Katharina griff ebenfalls nach ihrer Tasche, um wie von Ben angewiesen einen Polizeitrupp zu organisieren und sich dann gleich auf den Weg zu Yvonne Ronneburg zu machen. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und fragte: »Ben?«
Der Kommissar, der ebenfalls vom Schreibtisch aufgestanden war, um seinen leeren Kaffeebecher in die Küche zu bringen, wendete sich ihr zu. Er hatte gehofft, dass Katharina von sich aus mit einer Erklärung aufwarten würde, anstatt auf seine Frage zu warten.
»Du willst sicher wissen, warum dein Bruder mich angerufen hat und nicht dich, um von dem Ranzen zu erzählen. Also, es ist so, dass … na ja, wir haben uns kennengelernt, bevor ich hier angefangen habe.«
Nur Katharina wusste, dass dazwischen tatsächlich nur wenige Stunden gelegen hatten, aber zumindest war es nicht gelogen. »Er hat also nicht dienstlich angerufen, sondern privat. Das mit dem Ranzen hat er einfach zufällig erzählt, und da bin ich natürlich sofort hellhörig geworden. Es tut mir leid, ich hätte dir das wohl schon früher sagen sollen.«
Ben beobachtete Katharina und bemerkte genau, wie unangenehm es ihr war, über ihre Verbindung zu Bene zu sprechen.
»Katharina, letztlich ist es mir egal, mit wem du privat verkehrst. Zugegebenermaßen ist das gerade eine etwas schräge Konstellation, aber dafür kannst du nichts. Allerdings könnte es noch zu Schwierigkeiten führen, du solltest euer … ›Verhältnis‹ also vielleicht noch mal überdenken. Und was Leonie angeht, kann ich nur wiederholen: Kein Wort von dir zu meinem Bruder, ich hoffe, da haben wir uns verstanden.« Mit diesen Worten schob Ben sich an ihr vorbei und verschwand in die Büroküche.
19.07 Uhr
Katharina steckte vorsichtig den Schlüssel ins Schloss und machte sachte die Tür zu ihrer Wohnung auf. Sie ging davon aus, dass ihr Chef sich noch nebenan bei Julie aufhielt, und wollte weder ihm noch Julie im Moment über den Weg laufen. Sie hatte eben noch mit dem Einsatzleiter des Polizeitrupps telefoniert, der nach eigenen Worten sämtliche mögliche Wege, die Laura gegangen sein konnte, auf den Kopf stellen ließ. Dennoch konnte er bisher kein noch so kleines Ergebnis präsentieren. Daraufhin hatte Katharina beschlossen, nach Hause zu gehen. Sie musste erst einmal etwas Klarheit in ihren Kopf bekommen, um überhaupt denken zu können, und die Wohnung schien ihr – zu ihrer eigenen Überraschung – der geeignetste Ort dafür. Ihr Besuch
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