Bluthochzeit in Prag
sagen:
»Das ist schön, Doktor. Horni … da wollte ich hin … Helfen Sie Karel Pilny … sofort …«
Dann überfiel erneut eine lähmende, aber federleichte Schwäche ihre Gedanken, sie dehnte sich seufzend und schloß glücklich die Augen.
*
Über eine halbe Stunde blieb Dr. Houbek allein mit Irena. Eine halbe Stunde, in der Muratow das Gefühl hatte, die Welt verglühe.
Draußen hielt die Menschenmenge noch immer den sowjetischen Wagen umringt. Die beiden Russen saßen auf der Plattform des kleinen Lasters, rauchten und waren schrecklich müde. Außerdem hatte sich ihr Weltbild verschoben, was viel schlimmer war. Sie begriffen nun, daß sie hier nicht Freunde, sondern Feinde waren, daß sie die Nachfolge der verhaßten Hitlertruppen angetreten hatten, daß man sie belog und alles ganz anders war, als ihnen der politische Offizier bei der weltanschaulichen Schulung erzählte. Daß sie das alles nicht ändern konnten, drückte sie besonders nieder … sie sagten es den Tschechen, und siehe da, nun erhielten sie Zigaretten, man reichte ihnen Obst und Schokolade und sogar Coca Cola, dieses dekadente westliche Getränk, das ihnen aber sehr gut schmeckte, besser sogar als Kwaß, das aus Brot gebraute russische Bier.
Endlich erschien Dr. Houbek in der Tür und winkte ab, als die Männer vorstürmten.
»Sie ist wach«, sagte er. »Die Knieverletzung ist nicht der Rede wert, aber sie hat ein seltsames Fieber. Kann ein Nervenfieber sein … auf jeden Fall braucht sie nicht stationär behandelt zu werden. Ein paar Tage Bettruhe, das genügt. Wo kann sie unterkommen?«
»Bei mir«, sagte der Pfarrer sofort. »Da ist sie sicher.«
»Das walte Gott!« rief der KP-Sekretär. Er war aus der Kirche ausgetreten, auch das gab es in Horni Vltavice. »Und sonst?« Er schluckte mehrmals. »Haben die Russen dem Mädchen … ich meine … ist sie …«
»Nichts. Die Russen haben sie gut behandelt.« Dr. Houbek winkte ein paar Burschen. Sie gingen ins Zimmer, halfen Irena vom Tisch und trugen sie aus dem Bürgermeisteramt. Der Pfarrer lief vor ihnen her, und wenn es nicht so ernst gewesen wäre, hätte man vergnügt gelacht, so komisch sah es aus.
Dem Trupp, der Irena trug, folgte Leutnant Muratow, allein, bloßhäuptig, von Männern, Frauen und Kindern haßvoll angestarrt. Er spürte es, es war für ihn wie das Laufen durch eine Gasse schlagender Stöcke. Dabei erinnerte er sich an die Worte Irenas. ›Niemand hat euch gerufen. Ihr habt in der Nacht dieses Land einfach überfallen, wie Banditen.‹ Er hatte es nicht glauben wollen, – nun sah er es überall. Auch sein Weltbild bekam einen deutlichen Riß. Er war ein kluger Mensch und dachte gern, und so suchte er jetzt, als er hinter Irena herlief ins Pfarrhaus, den Funken Wahrheit, an dem sich ein kritischer Geist entzünden kann.
Warum sind wir hier? Warum habe ich Kiew mit den böhmischen Wäldern vertauscht? Warum bewachen meine Panzer die Straßen nach Westen?
Es waren Fragen, auf die Semjon Alexejewitsch Muratow noch keine Antwort wußte, so sehr er sich auch anstrengte.
Anders war in diesen Minuten die Lage im Konferenzzimmer des Bürgermeisteramtes. Hier herrschte helle Aufregung.
Der Bote Karel Pilnys, auf den man mit brennenden Herzen gewartet hatte, war gekommen. Es war das verletzte Mädchen. Irena Dolgan, eine deutsche Studentin. Und was sie Dr. Houbek erzählt hatte, war grandios und niederschmetternd zugleich. Der Bürgermeister sprach es für alle aus:
»Freunde, das ist eine mörderische Aufgabe. Im Gebiet von der Tepla sind sie – wer war schon mal dort?«
Es zeigte sich, daß noch keiner den Urwald durchstreift hatte. Wozu auch? Zu holen gab es dort nichts, nur Mühsal für verlorene Stunden. Die Gebiete aber, die man kannte so gut wie das Bett der Vera oder Hana, waren nun mit sowjetischen Militärlagern durchsetzt, waren gesperrt, umzäunt, von Posten kontrolliert, die auf jeden schossen, der versuchte, heimlich dort durchzukommen.
»Es hilft nichts!« schrie der Sekretär der KP, und der Sektionsleiter ›Civilni obrana‹ pflichtete ihm durch einen Fausthieb auf den Tisch bei. »Wir müssen den Genossen Pilny und Lucek helfen! Karel braucht Batterien und Proviant, Michael einen Chirurgen … wir müssen zu ihnen durchbrechen! Wo ist der Stoßtrupp?«
Der freiwillige Stoßtrupp stand bereit. Der kleine russische Lastwagen hatte sich entfernt … er war dem Leutnant zum Pfarrhaus nachgefahren. Die Menschenmenge zerstreute sich, die Gastwirte
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