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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erstickt, getötet.
    Welch ein Leben, o mein Gott!
    Mit Beinen, so schwer, als seien sie mit Blei gefüllt, tappte Pilny zurück zu seinen Höhlen.
    Das große Tonband, mit dem er die Meldungen aus dem Ausland aufgefangen hatte, war längst abgelaufen, der Apparat automatisch ausgeschaltet. Müde kroch Pilny zu Lucek in die Höhle, Micha war jetzt ruhiger, der Atem pfiff, er hatte keine Kraft mehr, zu toben. Das Gesicht war eingefallen … es sank zusammen wie eine aufblasbare Maske, aus der langsam die Luft entweicht. Fremd sah er jetzt aus, nicht mehr wie der fröhliche stud. med. Lucek, dem einmal die Mädchen nachliefen wie Fliegen einem Honigtopf.
    Pilny kühlte wieder Luceks Stirn mit einem wassergetränkten Lappen, wechselte die heiß gewordenen Wadenwickel und tauchte sie wieder in das kalte Wasser. Anscheinend half das alte Hausmittel. Dann setzte sich Pilny wieder an seinen Sender, hörte einen Teil der Tonbänder ab, stellte aus ihnen seine eigene Sendung zusammen und begann, als der Abend dämmerte, wieder hinaus in die Welt zu sprechen.
    »Hier ist die Stimme der Freiheit! Hier spricht Karel Pilny. Ich bin nicht untergegangen wie die anderen Freiheitssender. Ich sende noch, ich lebe, ich kann die Wahrheit sagen. Landsleute – die neuesten Meldungen und Aufrufe! Aber vorweg unsere Parole: Hinaus mit den Russen! Es lebe Dubcek!«
    »Scheiße!« sagte in diesem Augenblick Oberst Andrej Mironowitsch Tschernowskij. Er saß in seinem Prager Hotel mit Valentina Kysaskaja an einem weiß gedeckten Tisch und aß zu Abend. Aus dem Radio tönte die Stimme Pilnys.
    Sie verdarb Tschernowskij den herrlichen, ausgebeizten und hauchdünn geschabten Lachs.

X
    In Horni Vltavice war unterdessen eine Betriebsamkeit ausgebrochen, die die ganze kleine Stadt erfaßte, ohne daß sie jedoch zu einem Ergebnis führte. Es war wie die Arbeit in der griechischen Unterwelt, wo man Wasser mit Fässern ohne Boden schöpfte.
    Das Auftauchen des sowjetischen Wagens des 3. Bataillons hatte offene Feindschaft ausgelöst. Als er vor dem Bürgermeisteramt hielt, wurde er sofort von einer großen Menschenmenge umringt. Plötzlich waren auch tschechische Fahnen da und wurden geschwenkt, ein Sprecher rief »Dubcek! Dubcek!« und eine Gruppe junger Leute versuchte, den Wagen durch kräftiges Schütteln aus dem Gleichgewicht zu bringen und umzustürzen. Die Rotarmisten, das erkannte man sofort, waren waffenlos. Nur der junge Offizier – es war Muratow – hatte eine Pistole umgeschnallt.
    »Stoj!« schrie er immer wieder, als die Jungen den Wagen hin und her drückten. »Stoj!« Und dann auf deutsch: »Krankes Mädchen ist hinten drin! Hört auf! Hört auf! Krankes Mädchen!«
    Er stand in der offenen Tür und warf beschwörend die Arme hoch. Da erst wurde es stiller in der drohenden Menschenmenge, die vorderen Reihen schrien nach hinten: »Ruhe! Ruhe!«, und die Jugendlichen traten vom Wagen zurück.
    Der Fahrer und der junge Russe, die hinten neben Irena hockten, konnten nun die Plane öffnen und das Mädchen herausschieben. Sofort griffen viele Hände zu, hoben Irena auf die Arme und trugen sie in das Bürgermeisteramt, ehe Muratow etwas erklären oder ihr beistehen konnte.
    »Sie ist vergewaltigt worden!« brüllte jemand aus dem Hintergrund. »Die Schweine haben sie halb umgebracht … Schlagt sie zusammen! Haut ihnen auf den Kopf!«
    Leutnant Muratow, der die Worte nicht verstand, aber in den verzerrten Gesichtern und den kalten Augen einen abgründigen Haß erkannte, boxte sich durch die Menge in das Bürgermeisteramt, hinter Irena her, die man in das Beratungszimmer trug und dort auf den langen Tisch legte. Sie war noch besinnungslos und sah wie ein vom Teufel übel zugerichteter Engel aus.
    Der Bürgermeister, zwei Stadtverordnete, der Vorsitzende der Orts-KP, der Sektionsleiter der ›Civilni obrana‹, der Pfarrer und der Leiter der Volksschule waren plötzlich alle im Beratungszimmer und standen um den röchelnd atmenden Mädchenkörper. Ein Motorradfahrer raste bereits zum Hotel, um den Arzt, der aus Strakonice gekommen war, zum Bürgermeister zu holen.
    Leutnant Muratow empfand keine Angst, inmitten einer Menge fanatischer Tschechen zu sein, die ihn am liebsten sofort erschlagen hätten. Er hatte viel mehr Angst um Irena und verfluchte den armen Feldscher Lobotkin, der sein Bestes hatte tun wollen mit seinen Teufelstropfen. Den dummen Schädel spalte ich ihm, dachte Muratow, als er Irena so erschreckend krank auf dem

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