Bluthochzeit in Prag
Shitomir zur Partisanenausbildung und spezialisiert für das Guerillagefecht.« Der Sektionsleiter der ›Civilni obrana‹ grinste breit. »Wir haben dort viel gelernt, Genosse.«
»Und jetzt fliegen Sie bei Nacht so einfach übers Land.«
»Eine Liebhaberei, Genosse Oberst. Sie wissen nicht, wie erhebend es ist, nachts über die Landschaft zu fliegen und eine schlafende Welt von oben zu betrachten. Weinen möchte man vor diesem Frieden, der bis hoch hinauf in den Himmel atmet …«
Tschernowskij schob die Unterlippe vor. Da war er wieder, dieser impertinente, aber freundliche Ton, dieses harmlos klingende Schweijk-Gestammel, das einen aus den Schuhen kippte, dieses Blinkern in der Stimme, aus dem man heraushörte: Sieh in den Spiegel, mein Lieber … wer ist der größere Idiot von uns beiden?
»Und dazu nehmen Sie eine Militärmaschine?«
»Privat kann ich mir keinen Hubschrauber leisten, Genosse Oberst«, war die Antwort.
Tschernowskij spürte, wie sein Gesicht rot anlief. »Und der Arzt an Bord?«
»Der Genosse Struska, Herr Oberst, ist herzkrank«, sagte der junge Chirurg höflich. »Bei Höhenluft kollabiert er manchmal. Da muß ich zur Stelle sein.«
Tschernowskij fragte nicht weiter. Die grinsenden Gesichter vor ihm wurden zum Alptraum. Er blätterte in den Papieren und informierte sich noch einmal über den genauen Ablauf der Hubschrauberaktion. Da stand: Er kreiste über dem Wald und zog immer neue Schleifen, so daß wir ihn erst nach einiger Zeit mit dem Scheinwerfer erfassen konnten … Bei der Landung trugen alle Insassen Fallschirme umgeschnallt, nur der Flugzeugführer, Leutnant Slavik, nicht.
Aha, dachte Tschernowskij. Das sieht ganz danach aus, als wollten sie über dem Wald abspringen. Es könnte ein Sabotagetrupp sein … aber was macht der Arzt dabei? Man hatte bei ihm ein vollständiges Operationsbesteck und alle Medikamente gefunden, wie sie sonst nur Truppenärzte im Kriege mit sich führen. Es war nicht anzunehmen, daß sich ein Trupp von drei Mann einen eigenen Chirurgen für alle Fälle mitnahm.
Tschernowskijs Kopf fuhr vor wie ein Geier, der zuhackt. Sein Opfer war Leutnant Slavik. »Wer hat Ihnen den Befehl gegeben, aufzusteigen?« schoß er die Frage ab. Slavik sah den sowjetischen Oberst ruhig an.
»Niemand.«
»Sie sind einfach losgeflogen?«
»Ja.«
»Das ist ja ungeheuerlich! Man wird Sie dafür schwer bestrafen!«
»Das weiß ich. Ich bitte deshalb auch um sofortige Überstellung zu meinem Kommandeur.«
Das könnte dir so passen, dachte Tschernowskij. Damit wäre alles verloren. Es wäre der einfachste Weg, aus meiner Schußlinie zu kommen. Aber ihr kennt Tschernowskij noch nicht.
»Später, Leutnant, später.« Er lächelte mokant und schob die Meldungen Peljanows in den Schnellhefter. »Zunächst wollen wir uns unterhalten. Ich glaube, es sind einige Irrtümer entstanden, meine Herren. Niemand kann Ihnen verwehren, die gute böhmische Luft in einigen hundert Metern aus einem Hubschrauber heraus zu genießen. Aber bedenken Sie eins: Sie überflogen sowjetische Militärlager. Und wo ein russisches Lager ist, da ist Rußland! Das sagte schon Zar Peter der Große, ein widerlicher Ausbeuter. Um wieviel aktueller aber ist diese Tatsache in einem sozialistischen Land, dessen Armeen immer dort sind, wo es gilt, Recht und Frieden zu verteidigen.«
»Sie rühren mich zu Tränen, Genosse«, sagte der Sektionsleiter dumpf. »Ich werde Ihnen zu Ehren die Internationale singen. Völker, hört die Signale –«
»Aufhören!« schrie Tschernowskij und sprang hoch. »Ich kenne keine Skrupel, Sie auch auf andere Weise zu verhören.«
»Das ist gegen das Völkerrecht!«
»Ich scheiße auf dieses Völkerrecht!«
»Sie werden später große Schwierigkeiten haben.«
»Später! Was kümmert mich das? Ich will heute, jetzt die Wahrheit erfahren! Und ich werde sie Ihnen sagen, damit Sie erkennen, daß ich Ihre Aussagen gar nicht brauche! Sie, Doktor, sind die wichtigste Person in dieser Gruppe. Sie sollten über den Wäldern abspringen, um einen durch sowjetische Kugeln verwundeten Konterrevolutionär zu operieren, der sich in den Schluchten Böhmens verkrochen hat. Soll ich Ihnen den Namen nennen? Michael Lucek!«
Tschernowskij wartete auf die Wirkung seiner Worte. Aber die fünf reagierten nicht. Sie hatten plötzlich undurchsichtige Gesichter bekommen, Pokermasken, hinter denen nichts mehr zu lesen war.
»Und ich will Ihnen noch mehr sagen, Genossen –« fuhr Tschernowskij
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