Bluthochzeit in Prag
Unsicherheitsfaktor Nr. 1. Wenn er wegrennt und uns verrät, gibt es für uns kein Erbarmen mehr. Er muß bei uns bleiben, ob wir wollen oder nicht.« Pilny starrte in den Himmel, dort, wo die dünne Antenne in das Blau ragte. »Willst du zu ihm gehen –« fragte er.
»Nein. Nicht jetzt.« Irena beugte sich über den dampfenden Kessel mit dem glucksenden Gulasch. »Nachher … Ich bin feige. Karel … ich weiß es … Verdammt, ich bin ein ganz blödes, dämliches Mädchen …« Sie warf den Löffel hin und rannte weg in die Schlucht. Pilny wollte ihr nachlaufen, aber Lucek hielt ihn an den Hosenbeinen fest.
»Laß sie!« sagte er. »Das geht vorüber. Sie hat ein weiches Herz, das hab' ich immer gesagt. Doch sie hat Mut, die Kleine, verteufelten Mut. Allein zweimal mitten durch die Russen … das würde selbst ich mir reiflich überlegen. Und sie wagt es, ohne Zögern, ohne Hilfe, nur aus Liebe zu dir! Was wiegt dagegen diese kleine menschliche Schwäche, Karel –«
»Du hast recht.« Pilny bückte sich und zerzauste Luceks blonde, struppige Haare. »Aber nun laß meine Hosen los … ich will zu Irena und sie küssen. Das ist doch wohl erlaubt –«
»Hau ab!« Lucek lachte, gab die Beine Pilnys frei und stülpte sich wieder den Kopfhörer über.
Wien. Operettenkonzert.
Fünf Minuten später brach Valentina Kysaskaja durch das Unterholz und erreichte den kleinen Platz vor den Höhlen. Sie sah Michael Lucek, wie er mit nacktem, umwickeltem Oberkörper am Felsen lehnte, den Kopfhörer an den Ohren, und mit den Händen den Takt einer Melodie dirigierte. Aus dem Kessel auf dem Gaskocher zog der Duft von Gulasch bis zu ihr, neben den Höhlen stapelten sich Kisten und Kartons, lagen zusammengefaltet die Seidenhaufen der Fallschirme.
Für Valentina war es ein Anblick, nur vergleichbar mit einem Blick in das Paradies. Sie warf die Hände hoch, stieß einen hellen Schrei aus und rannte die letzten Meter mit weit ausgebreiteten Armen. Lucek sah sie nicht, weil Valentina von der Seite kam, und er hörte sie nicht, weil in seinen Ohren die Stimme eines Tenors klang, der von einer lauen Sommernacht schwärmte.
Erst als ein Schatten neben ihm auftauchte, warf er den Kopf zurück. Und dann war plötzlich keine Umwelt mehr da, kein Wald und keine Felsenhöhle, da war nur noch ein wildes, flatterndes Gestrüpp schwarzer Haare, da waren Lippen, die zu einem Schrei geöffnet waren, da glänzten Augen, leuchtete ein Gesicht, fiel ein Körper über ihn, spürte er unter seinen greifenden Händen die Weichheit von Brüsten … er sank zur Seite, die Wunde in seiner Brust schien wieder aufzubrechen, stechender Schmerz durchsägte sein Herz, aber er hielt fest, was er mit den Fingern umklammerte, er schrie gleichfalls auf, halb war es der alles in ihm zerreißende Schmerz, halb das unfaßbare Glück … und dann klang kein Walzer mehr in seinen Ohren, sondern die süße, unter Tränen und keuchendem Atem flüsternde Stimme, die Stimme, von der er geträumt hatte, von der er schon Abschied genommen hatte, der er nachtrauerte, um die er geweint hatte, weil sie für immer verloschen war … aber jetzt war sie da, und sie schluchzte und zerflatterte unter den Küssen und sagte: »Micha … mein Micha … du lebst … du lebst … O mein Gott, mein lieber Gott … du lebst … Micha … Micha –«
Dann lagen sie still, blickten sich an, befühlten ihre Körper, als glaubten die Augen nicht, was sie sahen und die Hände müßten es bestätigen: Er ist es wirklich … sie ist es wirklich … Wir sind wieder zusammen, die Welt ist vollkommen, das Leben hat wieder einen Sinn … Und sie küßten sich, stumm, weil Worte nun gar nichts mehr bedeuteten, weil sie zu schwach waren, das auszudrücken, was die Herzen kaum noch ertragen konnten. In ihren Augen spiegelten sie sich, und Valentina hatte die Jacke des Trainingsanzugs hochgeschoben und ließ Luceks Hände über ihre Brüste tasten, denn das war Leben, warmes, schwellendes Leben, von dem sie ihm einen Teil schenken konnte, ihm, der mit verzerrtem Gesicht unter ihr lag, den der Schmerz in der Brust schier zerriß und der doch beide Hände in dieses warme, feste Fleisch krallte und so unendlich glücklich war.
»Du –«, sagte er einmal, heiser vor Schmerzen. »Du … o du …«
Da glitt sie mit den Lippen über ihn, küßte seine Schultern, den Verband, und legte dann ihren Kopf in seinen Schoß, wie ein Hund, der in die Mulde eines Kissens sich einkuschelt.
So sahen Pilny und
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