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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lichtung endete, ein Hang, der hinunterführte zu einem Wildbach, dem man nachgehen mußte bis zu einer Biegung. Dann führte der Weg wieder hinauf, der Wald wurde etwas lichter, bis man die bizarre Felsengruppe sah, in deren Mitte sie tagelang wie die Wölfe gehaust hatten.
    Der Weg zurück schien endlos zu sein.
    Muratow hat sie an einen Baum gebunden, dachte er. Valentina hat gebettelt und geschrien, aber wir waren hart und haben es nicht gehört.
    Miroslava eine Russin!
    Er hatte in diesen Minuten der schrecklichen Wahrheit zum ersten Mal den Wunsch gehabt, nicht mehr zu leben. Noch nie hatte er die Menschen verstanden, die sich wegen irgendwelcher Dinge, sei es wegen einer Frau oder eines Mannes, wegen Schulden oder anderen Ausweglosigkeiten, das Leben nahmen. Feiglinge hatte er sie immer genannt, Blinde, die nicht sahen, daß die Welt groß genug ist für einen neuen Anfang. Aber plötzlich empfand er sie auch, diese Sehnsucht, alles vergessen zu können und Schluß zu machen mit diesem Leben, das ein einziger Betrug war. Als aus Miroslava Tichá die sowjetische Agentin Valentina Kysaskaja wurde, zerbrach in Michael Lucek die ganze Welt.
    Er ruhte sich aus, bis das Stückchen Himmel, das er durch das Blätterdach sehen konnte, fahl und rötlich wurde, bis der Widerschein der aufgehenden Sonne goldene Streifen in das Nachtblau webte. Die Erde, die Bäume, alles atmete. Tau glitzerte auf den Blättern, es roch nach Moder und süßlichem Vergehen, die Luft war von duftender Reinheit.
    Lucek erhob sich und taumelte weiter. Wo mögen jetzt die anderen sein, dachte er, als er das Felsenlabyrinth erreicht hatte. Sind sie schon über die Grenze?
    Freunde, ich gönne euch alles Glück … auch ich bin jetzt glücklich. Werdet ihr das je verstehen?
    Er bezwang sich, nicht laut Valentinas Namen zu rufen, als er die Schlucht erreicht hatte, die zu den Höhlen und dem Lagerplatz führte. Aber er ging schneller, er fühlte plötzlich eine Kraft in sich, die ihm selbst unheimlich war. Er überkletterte die letzten Felsklötze, zwängte sich durch die schmalen Ritzen und erreichte das Plateau mit den Höhlen.
    Ein unbeschreiblich starkes Glückgefühl überflutete ihn, als er den kleinen Lagerplatz vor sich sah und auf Valentina blickte, die den Kopf nach hinten an den Baumstamm gelehnt hatte und zu ihm herüberstarrte. Die langen, schwarzen Haare umgaben ihr Gesicht und ihre Schultern wie ein Schleier.
    Lucek preßte sein heißes Gesicht gegen den nackten Felsen und suchte die Kühle des Steines. Nur noch Kraft bis zu ihr, mein Gott, bettelte er stumm. Nur noch diese wenigen Schritte. Schenk mir diese paar Meter, gib mir die Stärke, sie loszubinden … dann kannst Du wegsehen, Gott … ich habe mein Paradies erreicht –
    Er schwankte aus den Felsen heraus, Schritt um Schritt, wie eine aufgezogene Puppe gehend, mit steifen Beinen, hängenden Armen und starrem Hals. Die Felsen färbten sich plötzlich violett und schienen zu zerfließen wie flüssiges Glas, das Gold der Sonne schwankte wie Wellen eines Meeres, das Rauschen des Waldes im Morgenwind wurde zu einem Dröhnen, als brächen Vulkane aus und rissen die Erde auf …
    Mein Gott, mein Gott, nur noch ein paar Meter …
    »Micha!«
    Der Aufschrei Valentinas fegte die flüssigen Felsen und das tobende Goldmeer weg. Er sah sie vor sich stehen, blickte auf die sitzende, angebundene Gestalt, und ihre dunklen Augen waren weit und leuchteten. Alle Liebe, die ein Mensch empfinden kann, lag in diesem Blick.
    »Valentina …«, stöhnte Lucek. »O Gott, Valentina …«
    Er fiel auf die Knie, kroch hinter den Baumstamm, krallte die Finger in die Knoten, die Muratow geknüpft hatte und kämpfte gegen Übelkeit und Schwäche, heranwallende Dunkelheit und stechende Schmerzen in seiner Brust.
    Als der Knoten gelöst war und sich die Arme Valentinas bewegten, begann er zu schluchzen wie ein kleines Kind. Er spürte noch, wie ihn Valentina umfing, legte seinen Kopf zitternd auf ihre Brüste, eine unsagbare Seligkeit überströmte ihn, dann fiel er in Ohnmacht.
    Er erwachte, weil Valentina sein Gesicht und seine Brust mit kaltem Wasser wusch. Das erste, was er wahrnahm außer dem Reiben ihrer Hände, war der Duft von Kaffee. Er lächelte, noch mit geschlossenen Augen, und sagte, als er merkte, wie sich Valentina über ihn beugte:
    »Hast du es nicht vergessen … drei Stückchen Zucker pro Tasse?«
    »Micha –«
    Sie küßte ihn auf die Augen und auf den Mund und streichelte sein Gesicht

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