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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gleich. Irena legte den Arm um seine Schulter. Sie ahnte, daß der Anblick der abrückenden Truppen Muratow das Herz zerriß, und dafür gab es keine Worte des Trostes, nur die stumme Geste: Du gehörst zu uns.
    »Aber neue kommen!« sagte Pilny heiser. »Seht ihr dahinten die Scheinwerfer? Das ist eine ganze Kolonne …«
    Ja, so war es. Die von dem sowjetischen Geheimdienst dem Generalstab empfohlene Umschichtung der russischen Truppen hatte begonnen. Die Divisionen, die am 21. August in die CSSR eingerückt waren, bedroht, bespuckt, beworfen mit Eiern und Tomaten, Farbbeuteln und Kot, die jungen Rotarmisten, die ratlos auf dieses tschechische Volk starrten, als dessen Freunde sie doch gekommen waren, und die nicht mehr auseinanderhalten konnte, was nun Wahrheit und Lüge war, wurden ausgewechselt und zurückgeholt in ihre russischen Garnisonen.
    Nun rollte die Ablösung. Aus der Tiefe des unendlichen Landes schoben sich die Kolonnen in die Tschechoslowakei hinein, landeten wieder Hunderte von Transportmaschinen auf den Militärflugplätzen, donnerten neue Panzer durch die Straßen und pflügten die Wege um.
    An den östlichen Grenzen geschah dann, was man in Moskau und auch im Hauptquartier in Prag mit Mißfallen registrierte: Tschechische Mädchen warfen Blumen auf die Panzer und Wagen, die aus dem Land fuhren, umkränzten die Geschützrohre, winkten den Rotarmisten zu und riefen: »Freunde – kommt nie wieder!« Die Truppen aber, die neu einrückten, wurden mit eisigem Schweigen empfangen. Sie hatten es nicht anders erwartet. Die Politoffiziere hatten es ihnen im voraus gesagt: Dieses Volk ist verblendet worden! Wir sind nun da, um Ordnung zu schaffen. Was ihr auch sehen werdet … alles ist das Werk der Revanchisten, ist die böse Tat der Westdeutschen.
    Den ganzen Tag über lagen sie auf dem Hügel, aßen Kekse und trockenes Brot und beobachteten die Ablösung des I. Panzerbataillons.
    Gegen Abend waren die alten Zelte abgebaut, die Lastwagen und Panzer weggedonnert … dafür stand auf dem gleichen Platz eine neue Zeltstadt, und unter den Bäumen warteten, auf den Zentimeter ausgerichtet, andere Lastwagen, Panzer und Kettenfahrzeuge auf den Einsatz. Drei Kolonnen waren unterwegs, Holz zu fällen, sechs Panzer schleppten die Stämme aus dem Wald zum Lager.
    »Es hat keinen Sinn, hier zu warten«, sagte Pilny. »Wir müssen an der Waldgrenze entlang nach Norden. Am Berg Rachel muß es gelingen. Dort führt die Grenze durch das einsamste Gebiet des ganzen Landes. Es bleibt uns keine andere Wahl.«
    »Gehen wir.« Muratow wuchtete sich wieder die beiden Rucksäcke über. »Wie weit ist das, Karel?«
    »23 Kilometer …«, sagte Pilny tief atmend.
    »Durch Wildnis wie hier?«
    »Noch schlimmer. Wir werden in ein Gebiet kommen, in dem sogar die Vögel vor Einsamkeit weinen …«
    Muratow, der ein paar Schritte gegangen war, blieb stehen und sah sich um. »Ich habe eine Idee«, sagte er.
    »Wenn es die gleiche wie gestern ist, halt den Mund, Semjon!«
    »Wozu habe ich eine Offiziersuniform an?« sagte Muratow. »Die neuen Truppen kennen mich nicht, es sind fremde Regimenter. Freunde, ich werde versuchen, ein Auto zu bekommen. Ich werde uns alle in eine russische Streife verwandeln.«
    »Jetzt ist er völlig blöd!« Pilny winkte ab. »Und mit dem Auto fahren wir mitten durch die Soldaten bis zur Grenze und winken ihnen zu. Lebt wohl, ihr Lieben … wir flüchten in den Westen …«
    »So ähnlich.« Muratow nickte, es war ihm vollster Ernst. »Wir werden auf der Strecke bis zum Schlagbaum fahren, und keiner wird es wagen, einen Wagen mit einem sowjetischen Offizier anzuhalten. Am Schlagbaum werde ich schreien und in die Luft schießen, eine große Verwirrung wird es geben, und ehe man merkt, was geschieht, sind wir hindurch und auf der deutschen Seite. Was haltet ihr davon?«
    »Nichts!« sagte Pilny hart. »Wir werden nichts tun, was Irena in Gefahr bringt. Wir werden uns über die Grenze schleichen wie eine Natter. Irgendwo werden wir ein Loch im Eisernen Vorhang finden …«
    *
    Nordöstlich des bayerischen Ortes Finsterau, dort, wo die Grenze am Berg Lusen einen weiten Bogen beschreibt, stand ein unauffälliger grüngestrichener Wagen in der Abenddämmerung neben einer Art Campingzelt und wurde eine blaßschimmernde, ziemlich stabile Antenne eingezogen.
    Feldwebel Richard Hacker schloß einen Stapel Tonbänder in eine Eisenkiste und zündete sich eine Zigarette an. Der Gefreite Heinz Toffel, in der Kompanie nur

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