Bluthochzeit in Prag
Der Unteroffizier winkte. Von drei Seiten rückten die Rotarmisten heran, junge, fröhliche Burschen, vor kurzem erst aus der Ausbildung entlassen, zum erstenmal fern ihrer Heimat.
Valentina blickte den Jungen furchtlos entgegen. Sie war froh, daß Lucek schlief und nicht aus der Verzweiflung, sein Leben teuer zu verkaufen, einige von diesen fröhlichen Gesellen erschoß. Man hatte sie in dieses Land befohlen, und keinen von ihnen traf die Schuld an den vielen Tragödien, die sich jetzt in diesem Lande vollzogen. Sie kannten nur einen Befehl, und ein Soldat gehorcht ihm. Das ist überall so … in Rußland wie in Amerika. Warum sollte man sie töten?
Valentina lief hinter den Steinwall zurück, bückte sich und schlug Lucek mit dem Pistolenknauf gegen die Schläfe. »Es muß sein, Micha, verzeih …« sagte sie dabei. »Du darfst nicht aufwachen, bis ich ihnen alles erklärt habe …«
Der Unteroffizier war der erste, der über den Steinwall blickte und Micha neben seinem Gewehr vor der Höhle liegen sah.
»Er muß sofort einen Arzt haben, wratsch … verstehen …?«
Der junge Unteroffizier verstand. Zwei Soldaten hoben Lucek vorsichtig vom Boden auf, betrachteten seinen dicken Brustverband und legten ihn dann auf eine Decke. Vier Mann, an jedem Zipfel einer, hoben ihn hoch, und so trugen sie Lucek fort, während die anderen in die Höhle schauten, die Köpfe schüttelten und Valentina mißtrauisch musterten.
»Wer du?« fragte der Unteroffizier erneut. »Ganzes Magazin hier. Warum?«
»Wir sind Freunde Rußlands.« Valentina lächelte. Sie band sich die Haare im Nacken zusammen und benahm sich so, als habe man sie nun endlich befreit und freue sich, daß die Sowjets gekommen seien. »Tschechische Freunde! Verstehen? Freunde von Rußland. Druck … Freund … Konterrevolutionäre haben uns gejagt, wir haben uns hier versteckt … Jetzt sind wir frei, Freiheit … swoboda …« Sie gab dem verblüfften Unteroffizier einen Kuß, holte eine Tasche aus der Höhle, in der sie einige persönliche Sachen verstaut hatte, unter anderem auch einige Ampullen Morphium, ihre letzte Rettung vor dem Grauen, wenn es in Gestalt Tschernowskijs über sie herfallen sollte, und ging dann mit wippenden Hüften den vier Rotarmisten nach, die Lucek davontrugen.
Ab und zu sah sie den Kopf Michas, seine blonden Haare … er schwankte in der Decke hin und her und war noch immer besinnungslos.
Wir haben eine Chance, dachte Valentina Kysaskaja. Man wird uns den tschechischen Behörden übergeben, und das wird unsere Rettung sein.
»Wo führen Sie uns hin, Genosse?« fragte sie den Unteroffizier, der neben ihr ging.
»Zum Stab des zweiten Regiments, Genossin.«
Sie zeigte auf den schwankenden Kopf Luceks. »Er muß einen Arzt haben. Sofort.«
»Er wird kommen in Hospital, Genossin.«
»Wir sind Freunde der Sowjets.«
»Ich weiß. Das auch sagen Kommandeur.«
Nach einer Stunde schlug Lucek die Augen auf. Er fühlte sich wie auf einer Schaukel, und als er begriff, was man mit ihm tat, rührte er sich nicht, sondern wandte nur den Kopf nach hinten. Sein Blick traf Valentina, die neben einem sowjetischen Soldaten hinter ihm herging.
Valentina lächelte ihn an.
»Es ist alles gut, Micha …« sagte sie und nickte ihm zu. »Sie bringen dich zu einem Arzt, in ein Krankenhaus. Sie haben Achtung vor denen, die wegen ihrer Freundschaft zur Sowjetunion verfolgt wurden. Bleib nur ruhig liegen, Micha – Verstehst du?«
Lucek nickte schwach.
*
Die beiden Uniformen, die Muratow erbeutet hatte, paßten zwar einigermaßen, aber damit gab er sich nicht zufrieden. Muratow verlangte, daß sich Pilny und Irena in vollkommene Russen verwandelten.
»Niemand glaubt euch, daß ihr sowjetische Soldaten seid, wenn ihr nur die Uniformen anzieht, aber nicht dabei den ganzen Menschen ändert«, sagte er.
»Und wo fängt das an, wo hört es auf?« fragte Pilny. Er hatte seine Uniform schon übergestreift … sie war ihm etwas zu klein, aber man konnte sich in ihr bewegen. Irena kam aus dem Wald zurück, wo sie sich umgezogen hatte … sie hatte die Haare hochgesteckt und unter dem Schiffchen verborgen. Wie ein frisches, junges, blondes Kerlchen sah sie aus, wie ein Milchgesicht in Uniform, ein Jüngelchen, das Soldat spielen muß, ein kleiner Liebling, der noch von Mamuschka träumt.
»Seht euch das an!« klagte Muratow. »Und das soll eine Streife glauben, wenn wir ihr begegnen? Vom Dnjepr bis zur Lena läuft kein sowjetischer Soldat so herum. Die
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