Bluthochzeit in Prag
schön brav … ganz still … komm –«
Lucek streckte die linke Hand aus, in der rechten hielt er das Messer stoßbereit.
Der riesige Hund sah Lucek an mit einer Verachtung, die fast schon menschlich war. Ihr Heuchler, hieß dieser Blick. Ihr lockt mit süßen Tönen, und nachher stoßt ihr mir das Messer ins Herz. Ich kenne euch, ihr Menschen, und ich hasse euch! Ich habe Hunger, weiter nichts. Und ich wittere das Fressen. Es ist mein gutes Recht, es mir zu nehmen –
Der Hund senkte den Kopf, warf ihn dann hoch empor und sprang. Mit zwei gewaltigen Sätzen war er bei Lucek, wich fast elegant dem blitzenden Messer aus, riß das dampfende Maul auf und warf sich mit der ganzen Schwere seines massigen Körpers gegen den verhaßten Menschen.
Lucek verlor das Gleichgewicht, taumelte und fiel zu Boden. Noch im Niederstürzen stieß er zu, hörte den Hund aufjaulen und rollte dann über den Felsengrund. Die Wunde in der Brust schien von dem Aufprall wieder aufzubrechen, ein wahnsinniger Schmerz zerriß seinen Körper, er konnte es nicht zurückhalten, er mußte schreien, laut schreien, und dann sah er Valentina, die neben dem gemauerten Herd stand, die Pistole auf den Hund gerichtet, der vor ihm den Kopf hin- und herwarf, grausige jaulend-bellende Töne von sich gab, das Maul aufgerissen hatte, aus dem Speichel und Blut tropften, und der sich jetzt duckte, um sich erneut auf ihn zu stürzen und ihm die Gurgel zu zerfleischen.
»Nicht schießen!« brüllte Lucek. »Nein! Nicht schießen!« Er zog die Beine an und trat nach dem Hund. »Lenk ihn ab … O Gott –«
Ein dunkler Schatten warf sich auf ihn. Im gleichen Augenblick krachten zwei Schüsse, ein zuckendes Bündel verfilzter, stinkender Haare senkte sich über Lucek und nahm ihm den Atem, dann rollte es zur Seite, er konnte wieder den Himmel sehen und fühlte, wie Valentina bei ihm kniete, seinen Kopf an ihre Brust drückte und immer wieder seinen Namen rief.
Als er die Augen öffnete, sah er, wie sie den Kadaver fortschleppte. Sie hatte ihn an den Hinterbeinen gepackt, der Kopf schleifte über den Felsboden und hinterließ eine blutige Spur. Sie warf ihn hinab in den Sumpf, kam dann zurück mit einer Schüssel Wasser und wusch Lucek das Blut des Hundes aus dem Gesicht.
»Er hätte dich zerfleischt«, sagte sie und kühlte die blutigen Schrammen an seinen Armen, die die langen Krallen des Tieres hinterlassen hatten.
Von dieser Stunde an warteten sie.
Sie lagen im Höhleneingang, hatten einige große Steine als Deckung vor sich aufgeschichtet und alle verfügbaren Waffen geladen. Sie waren bereit, sich zu verteidigen und dann gemeinsam mit den letzten Patronen zu sterben.
»Ich erschieße dich zuerst«, sagte Lucek stockend.
»Es ist besser so, Micha.« Sie nickte. »Ich hätte nicht die Kraft dazu.«
»Oder willst du leben? Sag es. Ich kann es verstehen. Sie werden dich nicht töten. Du bist eine Russin. Du wirst weiterleben können. Aber mich werden sie umbringen. Abschlachten werden sie mich.«
»Leben? Ohne dich? Wie kannst du so etwas denken?« Sie schichtete die Steine für die Deckung höher vor die Höhle und schüttelte den Kopf. »Vielleicht kommen sie gar nicht? Niemand hat die beiden Schüsse gehört. Hier ist es einsamer als auf einer Koralleninsel im Meer. Du wirst sehen … die Nacht kommt, und nichts ist geschehen …«
Aber sie kamen.
In drei Abteilungen rückten sie heran, von drei Seiten. Es war kurz nach fünf Uhr nachmittags.
Lucek schlief. Seine körperliche Schwäche war noch so groß, daß er so einschlief, wie er lag … den blonden Kopf im Moos, die Hände am Gewehr. Valentina weckte ihn nicht, als sie die schnell herankommenden Laute hörte … Zurufe, rollende Steine, Knacken von Zweigen. Sie stand auf, stieg über die steinerne Deckung und erwartete stolz, die Hände in die Hüften gestemmt, die sowjetischen Soldaten.
Es ist besser so, dachte sie. Warum ein Held sein, warum sterben, warum auf die anderen schießen. Alle Straßen führen zum Meer, sagen die Chinesen.
Warum sollte es keine neue Straße hinaus ins Leben geben?
Valentina sah dem jungen Unteroffizier entgegen, der mit schußbereiter Maschinenpistole als erster aus dem Wald trat. Er konnte etwas tschechisch und winkte mit dem Kopf.
»Du allein?« rief er.
»Nein. Ein Mann ist noch hier«, sagte Valentina Kysaskaja.
»Ein Mann. Er kommen! Hoch Hände! Dawai!«
»Er ist krank. Verwundet. Er schläft. Krank … balnoj –«
»Ah! Balnoj … Verstehen.«
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