Bluthochzeit in Prag
ganzen Regimentes erwarteten ihn, den großen Fachmann aus Moskau. Die beiden bestohlenen Rotarmisten standen in der Ecke wie verstaubte Gartenzwerge; man hatte ihnen einen dünnen, grünen Arbeitsanzug gegeben. Sie sahen darin armselig aus.
»Genosse Oberst«, sagte der Kommandeur des Regiments, als man Tschernowskij mit gebührendem Respekt begrüßt hatte und voll Achtung die Spange des Leninordens auf seiner Brust entdeckte, »der Fall ist einfach. Man hat zwei Uniformen gestohlen, und zwar soll der Dieb ein sowjetischer Panzeroffizier gewesen sein. Das machte uns stutzig, darum baten wir auch um Hilfe der Fachleute vom KGB. Ein sowjetischer Leutnant stiehlt doch keine Uniformen!«
»Er tut es, Genossen«, sagte Tschernowskij mit Nachdruck. Dann sah er in die verblüfften, ja betroffenen Gesichter der Offiziere und lächelte. »Ich kenne auch den Namen des Offiziers: Leutnant Muratow.«
Dem untersuchenden Politoffizier fiel der Unterkiefer herab. Er starrte Tschernowskij wie ein Wundertier an. »Das ist ja ungeheuerlich«, stotterte er. »Das wissen Sie –?«
»Moskau weiß alles!« Tschernowskij wandte sich ab. Die Wirkung dieses Satzes kannte er. In die Herzen flog so etwas wie der Schein eines soeben erschauten Wunders. Moskau weiß alles … das lebt in jedem Russen mehr als die stille Gegenwart Gottes. Moskau weiß alles … vom Eismeer bis zur Mongolei, von Berlin-Karlshorst bis zum Kap Deschnew im äußersten Norden.
»Und was befehlen Sie, Genosse Oberst?« fragte der Kommandeur. »Warum hat Leutnant Muratow das getan?«
»Er will mit einer Gruppe tschechischer Revolutionäre, die wir genau kennen, nach Westdeutschland flüchten.« Tschernowskij drehte sich um. Seine hellen Augen leuchteten. Wie nahe bin ich meinem Triumph, dachte er selig. »Geben Sie Alarm an alle Grenztruppen in diesem Bereich. Sperrung aller Übergänge, peinlichste Paßkontrolle durch die tschechischen Grenzer im Beisein unserer Leute. Verstärkung auf den Wachtürmen, starke Streifen vor dem Schußfeld an der Grenze, Kontrolle aller allein angetroffenen sowjetischen Soldaten, sofortige Schießerlaubnis, wenn jemand bei Anruf nicht stehenbleibt. Genossen … diese tschechische Gruppe darf nicht über die Grenze! Gelingt ihr doch der Durchbruch, muß ich über jeden von Ihnen, Genossen, in Moskau Meldung machen. Sie verstehen mich?«
Die Offiziere nickten ernst. Ein verteufelter Auftrag, dachten sie. Warum muß der Satan gerade in dieser Gegend scheißen? Meldung nach Moskau, – der Himmel verhüte das!
»Im übrigen wurde Leutnant Muratow zum Tode verurteilt«, sagte Tschernowskij nebenhin, als sei das unwichtig. »Wenn Sie ab sofort mehr als Ihre Pflicht tun, Genossen, dürfen die Gesuchten nicht mehr weit kommen.«
Genau um die Mittagszeit wurden alle Grenzübergänge gesperrt, besetzten sowjetische Truppen die Wachttürme an dem Todesstreifen, versteckten sich Panzer am Waldrand und überflogen Hubschrauber, die Tschernowskij aus Pilsen anforderte, das ganze Grenzgebiet und die Wälder entlang der Schluchten zwischen den Bergen Lusen und Rachel und der Grenzstraße Nr. 4, die bei Kleinphilippsreuth deutsch wird und bis nach Passau führt.
Es gab nach menschlichem Ermessen kein Durchkommen mehr.
*
Michael und Valentina hatten sich darauf eingerichtet, im Wald zu bleiben und die Zeit für sich arbeiten zu lassen.
Die Vorräte, die man damals mit den Fallschirmen abgeworfen und die Pilny zurückgelassen hatte, als der Marsch zur Grenze begann, erwiesen sich jetzt als ein wahrer Schatz. Valentina packte die Kisten und Säcke aus und trug den Inhalt in die Höhle. »Die Vorräte reichen ohne Schwierigkeiten für vier Wochen«, sagte sie, als alles im ›Keller‹, wie sie die Höhle nannte, aufgestapelt war. »Solange werden wir nicht im Wald bleiben. In vier Wochen hat die Welt vergessen, was am 21. August geschehen ist, und auch Tschernowskij wird wieder in Moskau sein.«
Aus Steinen baute sie einen richtigen Herd, in den sie die beiden Spirituskocher einsetzte. Eine andere Höhle richtete sie als Schlafzimmer ein. Sie legte die Luftmatratzen hin, faltete die Decken am Fußende, stellte zwei Batterielampen an die Kopfteile und bespannte die Felswände hinter den Matratzen mit den großen Nylontüchern der Fallschirme, indem sie den dünnen Stoff malerisch drapierend in Spalten und Ritzen der Felsen stopfte. Lucek, der langsam herumging und mit größter Anstrengung die leeren Kisten wegzog, blickte einmal in die
Weitere Kostenlose Bücher