Bluthochzeit in Prag
Wildwechsel ist es …«
Die vier Soldaten hatten das Drahthindernis erreicht und klappten eine der stacheligen Rollen zur Seite. Ein schmaler Durchgang wurde frei.
»Nummer eins«, sagte Pilny zufrieden. »Die guten Genossen zeigen uns den Weg in die Freiheit.« Eine euphorische Stimmung überkam ihn, alle Angst war verflogen … wir sehen den Weg … wir sehen ihn … Irena, das Glück hat uns nicht verlassen … Beim nächsten Morgengrauen wird es ein Spaziergang sein …
»Nummer zwei …« Muratow nickte, als die Patrouille das nächste Hindernis überwand. »Nun das gefährlichste Stück.«
Er beobachtete durch das Fernglas jede Bewegung der Sowjets. Sie gingen langsam ihre Strecke ab, immer drei Schritte Abstand voneinander, fast im Gleichschritt, die Maschinenpistole vor der Brust.
»Aha –« sagte Muratow. »An dem fast zugewachsenen Baumstumpf geht es scharf nach rechts und dann geradeaus zum letzten Zaun … Jetzt sind sie an der Grenze … Sie gehen am Draht entlang und kontrollieren ihn. Am Zaun sind also keine Minen. Das ist gut. Wir dürfen nur den Baumstumpf nicht vergessen. Sechs Schritte nach rechts sind es! Genügt das, Karel?«
»Es genügt …«
Sie krochen zurück in den Wald und schlugen dann einen weiten Bogen, um von rückwärts an die Senke heranzukommen, in der Irena auf sie wartete. Sie hörten, wie über die Straße zum Wachtturm ein Wagen brummte. Blechkannen klirrten, Wortfetzen flatterten durch die Morgenluft.
»Die Verpflegung kommt.« Muratow nahm Pilnys Handgelenk und drehte es um. »Gleich sechs Uhr.« Er tippte auf Pilnys Armbanduhr und schien zu rechnen. »Wir haben morgen früh nicht viel Zeit, Karel, wir müssen kurz vor fünf in den Todesstreifen marschieren. Früher würde auffallen … später ist unmöglich.«
»Und das Telefon? Es muß eine Meldung sein, die sie durchgeben.«
»Verzichten wir darauf. Vielleicht macht es die Posten auf den Türmen ratlos, wenn sie einen Offizier auf Streife sehen. Ehe sie es ganz begreifen, sind wir in Deutschland.«
»Zuerst Irena!«
»Das ist selbstverständlich, Karel. Zuerst Irena –«
Als sie die Waldsenke erreichten und zwischen den Büschen den Hang hinunterrutschten, lag Irena auf dem Rücken und sonnte sich wie die russischen Soldaten. Nur den Oberkörper hatte sie nicht entblößt, sondern die Bluse am Hals weit auseinandergezogen.
»Sie nimmt ein Sonnenbad«, sagte Pilny fröhlich und warf sich neben Irena auf den Boden. »Während wir vor Angst zittern, geht sie in die Sommerfrische.«
Irena hob den Kopf und legte die Arme schützend gegen die Sonne vor die Augen. »Ihr seht auch wirklich aus, als hättet ihr vor Angst geweint. Habt ihr einen Weg entdeckt?«
»Wir haben ihn!« Pilny umarmte sie und küßte sie stürmisch. »Wir haben ihn! Den Pfad durchs Labyrinth! Semjons Idee war goldrichtig. Wir werden morgen früh über den Todesstreifen spazieren wie auf der Promenade über den Altstädter Ring.«
»Morgen früh?«
»Kurz vor fünf.« Muratow nickte. »Hinrichtungen finden immer bei Morgengrauen statt –«
Dann ging er durch die Büsche, legte die Hände auf den Rücken und starrte mit verschleierten Augen in den Wald.
*
In Borovy, einer kleinen Stadt an der Staatsstraße 27 nach Pilsen, bremste Tschernowskij plötzlich den Jeep. Er ließ ihn auf dem dunklen Marktplatz ausrollen und sah dann Valentina fragend an. Sie standen vor einem breiten Haus, über dessen Tür ein Schild mit verwaschenen Goldbuchstaben hing.
Hotel Vaclav.
»Hier werden wir übernachten«, sagte Tschernowskij.
»Wie Sie wünschen, Andrej Mironowitsch.« Valentina ordnete ihre Haare, die der Fahrtwind zerzaust hatte. Mit gespreizten Fingern kämmte sie die langen, seidigen Strähnen. »Aber ist es nicht besser, erst Micha nach Prag zu bringen? Er muß in eine Klinik! Haben Sie keine Angst … ich halte mein Versprechen.«
»Ich werde ihn morgen früh in Pilsen ins Krankenhaus schaffen.« Tschernowskij stieg aus und half Valentina auf die Straße. Eine unerträgliche Spannung lag zwischen ihnen.
In diesem Hotel, dachte Valentina. Hotel Vaclav. In einem Zimmer dort oben. Ein Doppelbett. Welch eine Nacht wird das werden! Welch ein Erwachen!
Tschernowskij läutete und mußte eine Zeitlang warten, bis geöffnet wurde. Als der Wirt – im Schlafanzug mit einem Mantel darüber – den sowjetischen Offizier erkannte, wurde er hellwach und riß die Tür weit auf.
»Besatzung?« schrie er. »Jetzt? Ich habe vom Bürgermeisteramt
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