Bluthochzeit in Prag
einziger Stein nur … aber er verändert meine Welt!
Eine Fröhlichkeit überfiel ihn; er hätte laut singen können. Er fühlte sich auf einer Woge von Seligkeit getragen, und dieses Gefühl klang noch nach, als er nach einer halben Stunde von der Staatsstraße abbog in einen Seitenweg, der in einen lichten Wald mündete. Ein paar hundert Meter fuhr er über den holprigen Pfad und hielt dann an. Der Weg verbreiterte sich hier zu einer Lichtung, Farne und hohes Gras bedeckten sie. Es roch nach frisch geschlagenem Holz und abgeschälter Rinde. Am Waldrand waren die frisch geschnittenen Stämme aufeinandergeschichtet und warteten auf den Abtransport.
Tschernowskij sah sich um und stieg aus.
»Welch ein Glück, solch ein Fleckchen Erde zu entdecken«, sagte er in Hochstimmung. »Man muß einen besonderen Sinn haben, um so etwas zu finden.« Er nahm die Mütze vom Kopf, legte sie auf den Nebensitz und strich sich über die Haare. Plötzlich lag seine Nagan, die schwere russische Armeepistole, in seiner rechten Hand und winkte mit dem Lauf. »Aussteigen!« sagte er knapp.
Valentina und Lucek sahen sich an. Ihre schwarzen Augen flackerten, Luceks Blick war nur traurig.
»Leb wohl –« sagte er tonlos. »Gott möge dich segnen und immer lieben –«
»Micha!« Es war ein Aufschrei, so hell und explosiv, daß selbst das Herz Tschernowskijs zuckte. Valentina warf sich an Lucek und umklammerte ihn. »Das ist nicht wahr! Glaub es nicht, Micha … Er spielt nur damit … er hat versprochen, dich leben zu lassen …«
»Welch ein Bild!« Tschernowskij trat einen Schritt rückwärts, weg aus dem Bereich Valentinas, falls sie ihn anspringen wollte.
»Nein!« schrie Valentina. »Nein!«
Sie hielt Lucek fest, drückte ihn auf den Sitz zurück, warf sich über ihn und krallte beide Hände in die Eisenwände des Jeeps.
»Hol ihn dir!« schrie sie. »Reiß ihn von mir los, du Satan! Es wird dir nicht gelingen … mich mußt du zuerst töten, mich … Und das kannst du nicht! Nie kannst du das! Hol ihn dir.«
Tschernowskij betrachtete das erschütternde Bild ohne jegliche Gefühlsregung. Er wartete, bis Valentina ihr Schreien beendet hatte und schüttelte dann den Kopf.
»Du siehst die Lage falsch, mein Täubchen«, sagte er völlig ruhig. Seine Stimme klang wie der leiernde Ton eines Dozenten für Familienrecht. »Ich habe versprochen, Lucek dorthin zu bringen, wo ihn keine Schmerzen mehr plagen. Wenn du es falsch verstanden hast … ist es meine Schuld?«
»Du Teufel!« keuchte Valentina. Sie hielt Lucek mit ihrem Körper auf dem Sitz, preßte ihn gegen das harte Polster. Er stöhnte, weil sie auf seine Wunde drückte, aber kam es jetzt noch auf Schmerzen an?
Tschernowskij zog die Stirn kraus, als denke er intensiv nach. »Man hat mich mit Steinen beworfen und beleidigt. Man hat mich getroffen, einen sowjetischen Oberst … gesteinigt hat man mich wie eine räudige Katze! Und es war sein Geist, der dies vollbrachte … sein Geist!« Er zeigte auf Lucek. »Er hat ihn in dieses Volk getragen, hat den Terror zur Waffe gemacht, hat den Weltfrieden auf dem Gewissen, – er ist ein Knecht des Monopolkapitalismus, vielleicht wird er sogar vom Westen bezahlt! Er ist die Eiterbeule am Leib unserer gesunden Welt. Ein Geschwür, das man wegschneiden muß, um den gesunden Körper zu retten! Es gibt Notwendigkeiten, für die keine Versprechungen gelten! Steigen Sie aus, Lucek –«
»Lüge! Lüge!« Valentina preßte Lucek, der sich bewegte, wieder zurück in den Jeep. »Hol in dir! Was soll das Gestammel von Weltfrieden und Kapitalismus? Um mich geht es … und um deine billige Rache an dem Mann, den ich als einzigen liebe! Als einzigen, jawohl! Was starrst du mich so an? Abmachungen gelten nicht mehr, du hast es selbst gesagt. Oh, du sollst die Wahrheit erfahren, mein Liebling …« Sie nahm das schmale, schmerzverzerrte Gesicht Luceks zwischen ihre zitternden Hände, sah ihn an, immer und immer wieder, und hüllte seinen Kopf in ihre langen, schwarzen Haare. »Alles sollst du erfahren, Liebster, alles. Zu seiner Hure will er mich machen, seit Monaten schon. Wie ein hechelnder Hund ist er mir nachgelaufen. Aber dann kamst du, mein Liebling, und ich liebte dich, wie noch nie ein Mensch auf dieser Welt geliebt wurde. Ein neuer Mensch wurde ich … mein Himmel veränderte sich, meine Sonne strahlte anders, mein Blut floß heißer … ich lebte nur noch in dir. Und er sah es … er sah es von Moskau aus und fuhr nach Prag. Er sah es
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