Bluthochzeit in Prag
Räder gelegt, Fahnen knatterten im Morgenwind, Mädchen hatten in aller Eile Girlanden aus Feldblumen geknüpft und damit die Sitze dekoriert. Der Vorschlag, dem Wagen das Benzin abzulassen, wurde verworfen, ebenso die Idee, ihn einfach durch sechs stämmige Burschen wegzutragen und in die Radbuza, das Flüßchen, zu werfen.
»Passiver Widerstand, Freunde!« sagte der Bürgermeister, der auch am Jeep stand und auf den Zivilrock seine tschechischen Orden gesteckt hatte. »Keine nackte Gewalt! Die sind die Russen gewöhnt, die schreckt sie nicht, da können sie fröhlich zurückschlagen … aber Blumen und Lieder und lautlose, gedachte Tritte in den Arsch … das regt sie auf, dagegen haben sie keine Medizin. Freunde … ruhig Blut … da kommen sie –«
Kaum erschien Tschernowskij auf der Straße, begannen die Einwohner des Ortes leise, dumpf und getragen, wie einen Grabgesang, die tschechische Nationalhymne zu singen. Dabei senkten sich die Fahnen über den Jeep und die Mädchen winkten mit Blumensträußen.
Tschernowskijs Gesicht versteinerte.
»Gibt es in Ihrem Land nur noch Idioten?« fragte er über die Schulter hinweg Lucek, der am Arm Valentinas aus dem Haus humpelte.
»So wird es bleiben, solange Sie unsere Freiheit knebeln.«
»Es ist tröstlich, daß auch der beste Sänger einmal heiser wird.« Tschernowskij ging mit langen, festen Schritten auf seinen Wagen zu, und als er den Wall der Leiber erreichte, öffnete sich ihm eine Gasse. Umgeben von dem dumpfen Gesang setzte er sich in den Jeep, kontrollierte die Benzinuhr, ließ den Motor aufheulen und sah hinaus auf die Räder. Lucek und Valentina kletterten hinter ihm in den Wagen.
Der Bürgermeister trat vor. Er sprach russisch, denn er hatte einst in einer von Russen geführten Partisanenabteilung gedient. Der Gesang brach ab, ruckartig, wie eine Köpfung.
»Wer ist der Mann?« fragte der Bürgermeister und zeigte auf Lucek. »Er ist verwundet. Er sieht wie ein Tscheche aus. Was geschieht mit ihm?«
Der Bürgermeister wandte sich an Lucek. »Bist du ein Gefangener, Bruder? Haben sie dich angeschossen, die Sowjets? Wir werden uns um dich kümmern …«
Der Kreis schloß sich enger um den Jeep. Vierhundert haßerfüllte Augen starrten auf Tschernowskij.
»Und das Mädchen?« rief einer aus dem Gewühl der Leiber. »Bist du eine Tschechin? Oder bist du die Hure des Russen?«
»Wir sind Tschechen«, sagte Lucek mit lauter Stimme. »Aber macht keinen Ärger, Genossen! Gebt den Wagen frei. Man bringt mich nach Prag in die Klinik. Ich bin Student der Medizin. Ich habe in Prag den Widerstand organisiert.«
»Und bist jetzt gefangen? Holt den Russen aus dem Jeep!« schrie jemand von rückwärts. Und plötzlich waren die Fahnen wieder da und senkten sich über Tschernowskij, der Wagen schwankte, zwanzig Hände griffen nach Lucek und Valentina, um sie auf den Marktplatz zu ziehen.
»Idioten!« brüllte Tschernowskij. »Ich kann diesen Ort von der Landkarte fegen, wenn ich will! Aus dem Weg!«
Er gab Gas, und der Jeep, gewöhnt, auch im unwegsamsten Gelände noch einen Weg zu finden, hüpfte über die vorderen Steine und schoß in die Menschenmenge hinein.
Gebrüll begleitete diesen Vorstoß. Die Menschenmauer zerriß, eine Gasse öffnete sich, und in sie hinein jagte mit Vollgas der Jeep, streifte ein paar Körper, riß sie zur Seite … dann war der freie Platz da, die Straße, die nach Pilsen führte. Das Geschrei hinter ihm ließ Tschernowskij kalt, auch die ersten Steine, die ihm nachgeworfen wurden … nur, als ein gut gezielter Wurf ihn an der Schulter traf, zuckte er zusammen und drehte schnell den Kopf herum.
Eine Woge aus hochgereckten, drohenden Armen, ein Riesenpolyp von Rache und Aufruhr wälzte sich ihm nach.
»Haben Sie gesehen?« schrie er. »Ein Stein hat mich getroffen! War ich nicht höflich zu Ihren Landsleuten? Und wie danken sie es? Sie bewerfen mich mit Steinen! Mich, den Oberst Tschernowskij! Es hat keinen Sinn, in diesem Lande menschlich zu sein!«
Er drehte sich wieder um und raste die Straße hinunter.
Es war ein guter Wurf, dachte er dabei. Ich habe ihn erwartet, herbeigesehnt. Er gibt mir das Recht, grausam zu sein. Er wischt alles weg, was vorher gesagt worden ist. Was sind Versprechungen, wenn man einen Tschernowskij so beleidigt? Vor Haß wird er glühen, und alles, was er dann tut, wird nur aus diesem Haß zu erklären sein. Niemand wird es mir vorhalten, selbst Ignorow nicht, der gelbgesichtige Zwerg in Moskau. Ein
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