Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
nach oben in den Hinterhof zu tragen, wo ein klappriger Wagen wartete. ›Wäscherei Silberglanz‹ war mit großen Buchstaben an beide Seiten des Aufbaues gemalt. Aber statt mit Körben schmutziger Wäsche fuhr man mit verbotenen Zeitungen davon.
    Sie werden alle in den Zuchthäusern verschwinden, wenn ich meinen Bericht abliefere, dachte Valentina. Vielleicht erreichen sie nicht einmal eine Zelle. Es gibt so viele Möglichkeiten, einen Menschen unsichtbar zu machen. Man wird sie alle einsammeln … Pilny, Irena, die anderen Studenten, die Bäckerjungen, Eisenbahner, Fabrikarbeiter, Fernfahrer, Wäscheausträger … und auch Micha Lucek. Auch ihn.
    Und plötzlich lag es wie eine Zentnerlast auf ihr. Sie stellte sich in eine Ecke des Hinterhofes, sah in den langsam aufblauenden Morgenhimmel und holte tief Atem.
    Auch Lucek … und das war auf einmal ein fürchterlicher Gedanke.
    *
    An diesem Morgen wurde Irena Dolgan verhaftet.
    Ein Polizist überraschte sie dabei, wie sie die Zeitung ›Ranni cervánky‹ in die Briefkästen der Rechtsanwälte steckte, die ihre Praxisräume rund um das Gericht hatten.
    Eine halbe Stunde später saß sie im politischen Kommissariat einem verschlossen dreinblickenden, dicklichen Mann gegenüber, der das Verhaftungsprotokoll so langsam durchlas, als müsse er jedes Wort buchstabieren.
    »Was sagen Sie zu Ihrer Entlastung?« fragte er endlich und klappte die noch dünne Mappe zu. Von nun an gab es eine ›Akte Dolgan‹ bei der politischen Polizei. Ein junger Beamter hatte ein Stockwerk tiefer von Irena die Fingerabdrücke abgenommen. Nach dem Verhör sollte sie auch fotografiert werden. Ein Telefongespräch mit der Universitätsverwaltung hatte bereits den ersten Erfolg gebracht. Der kleine dicke Mann trommelte mit den Fingern auf dem Aktendeckel.
    »Warum sagen Sie nichts?«
    »Was soll ich sagen? Die Polizei hat mich verhaftet, als ich Zeitungen verteilte. Daran ist nichts zu leugnen«, sagte Irena.
    »Sie haben keine Angst?«
    »Nein. Wovor?«
    »Wovor?« Der kleine Mann bekam einen roten Kopf, und plötzlich brüllte er. »Sie unterhöhlen die Ordnung des Staates. Sie rufen zur Revolution auf. Sie treiben Keile zwischen die befreundete Sowjetunion und uns. Sie säen Unruhe ins Volk! Sie und Ihre Kumpane wollen einen westlich-imperialistischen Geist einführen! Man sollte euch zusammenschlagen wie tolle Hunde!« Der kleine dicke Mann schnaufte, machte eine Pause und trommelte dann wieder mit den Fingern. »Sie sind Deutsche!«
    »Ja.«
    »Haben Sie Anweisungen aus Bonn?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie andere Deutsche unter den Studenten?«
    »In Prag studieren viele Deutsche.«
    »Wann haben Sie Major Lotzig zum letztenmal getroffen?«
    »Major Lotzig? Wer ist das?«
    »Halten Sie uns nicht für dumm!« Der kleine Mann verzog das Gesicht, als tränke er Essig. »Wir wissen genau, daß Major Lotzig vom Bundesnachrichtendienst in Pullach die Aktionen in Prag leitet.«
    »Ich kenne keinen Major Lotzig. Und mit dem Bundesnachrichtendienst habe ich noch nie etwas zu tun gehabt.«
    »Dann sagen Sie uns Ihre Auftraggeber.«
    »Ich habe keine.«
    »Woher bekommen Sie Ihre Befehle?«
    »Ich bekomme keine Befehle. Wir sind nichts als Studenten, die die Freiheit lieben. Ist das strafbar?«
    Der kleine dicke Mann winkte ab, so wie man eine Fliege, die um den Kopf summt, verscheucht. Er drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch, und ein Polizist holte Irena wieder ab. Man führte sie durch lange Gänge bis zu einer Zelle, stieß sie hinein und verriegelte die Tür von außen. Der Raum war kahl bis auf ein Bett. Aber auch dieses Bett war ausgeschlachtet … die Matratzen fehlten, die Decken, kein Kopfkissen … nur der nackte Bettrost war vorhanden, auf den man sich unmöglich legen konnte, weil sich die Stahlfedern in den Rücken bohrten.
    Irena setzte sich auf die Bettkante und starrte zu dem kleinen vergitterten Fenster hoch oben an der Schmalwand der Zelle. Angst empfand sie nicht, nur eine Spannung, was mit ihr geschehen könnte. In spätestens zwei Stunden würden Pilny und Lucek wissen, daß man sie verhaftet hatte. Sie konnten nur indirekt helfen, einen guten Anwalt zu ihr schicken, geheime Verbindungen innerhalb der Partei mobilisieren … aber das alles konnte drei oder vier Wochen dauern.
    Sie drehte sich um und blickte auf das Bett. Vier Wochen schlafen auf einem Stahlfedernrost … das war unmöglich. Auch wenn die Sommernächte kamen – die Zelle war kalt, die dicken Mauern

Weitere Kostenlose Bücher