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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stadt in den Aufmarschgebieten, alle Flugplätze, das ganze Grenzland überfüllt sein müßten mit logistischen Einheiten. Aber sind sie das? Nein! Es stehen nur die Kampfeinheiten da. Ich weiß nicht, was die Deutschen so erregt.«
    Oberst Schwelm klappte den Ordner zu und gab ihn an den Adjutanten zurück. »Wir kennen den Russen«, antwortete er ruhig. »Er kann aus dem Stand operieren.«
    »Unmöglich! Das kann keine Armee.«
    »Die Sowjets werden es Ihnen beweisen.«
    »Aha!« Mr. Murphy legte die Hände übereinander wie ein Schulmeister, der einen aufsässigen Schüler maßregelt. »Und woher nehmen Sie diese Weisheit, Oberst?«
    »Aus der Erfahrung. Deutschland hat zweimal gegen die Russen Krieg geführt … und Amerika?«
    Murphy schwieg. Er sprang auf, ging ans Fenster, steckte sich eine Zigarette an und starrte auf die Baracken und getarnten Bunker. Oberst Rickey nippte wieder an seinem Fruchtsaft.
    »Was würde Deutschland tun, wenn sowjetische Panzer über seine Grenzen kämen?« fragte er dann. Plötzlich war es still im Zimmer. Nicht einmal Atmen hörte man. Oberst Schwelm legte die geballten Fäuste auf die Landkarte.
    »Was würde die NATO tun?« fragte er zurück.
    »Diese Frage steht nicht zur Debatte.« Rickey lehnte sich zurück. Sein Pokergesicht war unbeweglich. »Nehmen wir an, die deutschen Befürchtungen würden wahr, und die Russen okkupieren die CSSR … es wird immer eine innertschechische Angelegenheit bleiben, ein Bruderzwist im Warschauer Paktlager, eine Prügelei unter Kommunisten. Zu mehr wird es nicht kommen … die Grenzen verändern sich nicht.«
    »Aber das Gesicht Europas!« Oberst Schwelm sprang auf. Es war ihm unmöglich, jetzt ruhig sitzen zu bleiben. »Der Russe blickt durch alle Fenster in das westeuropäische Haus.«
    »Dann lächeln Sie ihm zu und rufen ihm entgegen: Guten Tag, Nachbar. Ist das so schwer?«
    »Und wenn er die Tür eintritt?«
    »Warum sollte er das? Nein, meine Herren –«, Oberst Rickey erhob sich abrupt –, »für uns Amerikaner ist die Lage klar. Ein Überfall auf die CSSR ist eine Utopie. Eine kleine Demonstration der Stärke … das braucht der Russe ab und zu, so wie Sie in Deutschland Ihre Schützenfeste haben. Lassen wir ihm den Spaß, sich an sich selbst zu berauschen. Die CIA sieht keinerlei ernste Bedrohung des Westens.«
    Nach dem Abendessen in der Kommandobaracke verließ Oberst Schwelm die Tafel und ging hinüber zur zentralen Funkauswertung. Sie bewohnte drei ineinandergehende Bunker und konservierte auf Tonbändern alles, was an Geräuschen im Äther wichtig schien. Im ›Redaktionsraum‹ traf Schwelm neun Offiziere an, die den Tagesbericht für Pullach, die Zentrale, zusammenstellten.
    »Neuigkeiten?« fragte Schwelm knapp. »Was macht der Iwan?«
    »Er frißt sich voll. Panzer, Raupenfahrzeuge, Lastwagen werden aufgetankt. Die Truppen haben ihre eisernen Portionen erhalten. Im Erzgebirge, zwischen Dresden und Plauen und im Gebiet von Görlitz sind Züge mit Munition eingetroffen und werden umgeladen. Eine noch unbestätigte Nachricht aus Moskau spricht von der Bereitstellung von 300 Antonow-Transportflugzeugen.«
    »Und die da drüben wollen es nicht wissen!« Oberst Schwelm wischte sich über die Augen. »Mein Gott, wenn es wirklich einmal Ernst werden sollte … Sie glauben nicht, was sie hören, sie sehen nicht, was man ihnen vorlegt … Sie reden von Logistik, von Vorwarnzeiten … als ob das heute noch gilt! Wenn der Russe heute nacht marschiert und weiter und weiter marschiert und über unsere Grenzen kommt … Gute Nacht, meine Herren.«
    »Gute Nacht, Herr Oberst!«
    ›Gute Nacht‹ auch Europa?
    *
    In Prag ahnte man von allem nichts.
    Nie gab es eine lebenslustigere, fröhlichere und unbekümmertere Stadt als Prag in diesen Augusttagen. Der politische Frühling, das Abschütteln isolierten Denkens, die Presse- und Redefreiheit, bisher undenkbar in einem Ostblockstaat, hatten auch die Menschen ergriffen, hatten sie merkwürdig verjüngt, ja es war, als sei ein ganzes Volk zur Kur gewesen und hätte neue Kräfte entdeckt.
    Die Anerkennung der Freunde löste einen Taumel aus. Tito kam aus Belgrad und beglückwünschte Dubcek zu seinem neuen Kurs; Ulbricht aus Ost-Berlin verhandelte in Karlsbad über die weiteren Beziehungen der DDR mit der Tschechoslowakei; der rumänische Staatschef Ceausescu fuhr im Triumphzug durch die jubelnden Straßen Prags … ein Tauwetter war plötzlich ausgebrochen, das die eisige Maske des

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