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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blonden Begleiter konnte er aus diesem Winkel nicht mehr sehen, aber er wußte, daß sie bei den Menschen waren, die die Panzer mit ihren Leibern aufhielten.
    Die Beamten des KGB warfen sich schnelle Blicke zu, verließen die Wohnung, rannten die Treppe hinunter und mischten sich unter das tobende Volk auf der Straße, ohne sich um das Mädchen und den Mann zu kümmern, die der Genosse Oberst ihnen gezeigt hatte. Der Befehl des mächtigen Chefs Andropow war klar: Kein Aufsehen! Verhaftungen kommen noch früh genug, und diese ganz in der Stille. Und was der große Andropow sagte, war wichtiger als das Gebrüll des Genossen Oberst, der nur Abteilungsleiter war.
    Gleich darauf verließ auch Tschernowskij die Wohnung. Er rannte auf die Straße und bahnte sich mit beiden Armen einen Weg durch die Menschenmenge.
    Auf den Panzern hockten die jungen Bürschchen aus Kiew und Kasan, starrten in die tobenden Gesichter und umklammerten ihre Maschinenpistolen. Auf der Straße brannten noch immer ein Omnibus und ein Lastwagen; aus dem in Feuer gehüllten Panzer krachten ununterbrochen die explodierenden Granaten, Sanitäter mit Tragen rannten herum und sammelten Verwundete auf, eine neue Menschenmauer rückte gegen die Panzer an und sang die Internationale.
    Tschernowskij stieß und boxte, erhielt dreimal einen Schlag auf den Schädel, wurde angeschrien und weggestoßen … und plötzlich hatte er eine tschechische Fahne in der Hand, schwang sie über seinen Kopf und brüllte auf russisch: »Saukerle! Hunde! Hurensöhne!«
    Die um ihn Stehenden klatschten Beifall und machten ihm Platz. »Sag es ihnen, Genosse!« schrie ihm jemand ins Ohr. »Du kannst russisch. Sag ihnen, was für Schweine sie sind!«
    Tschernowskij rannte weiter, auf die Panzer zu. Wer ihm die Fahne in die Faust gedrückt hatte, wußte er nicht. Es war auch gleichgültig. Aber sie war jetzt mehr wert als alles andere auf der Welt … er kam mit ihr vorwärts, ganz nach vorn … dort, wo Valentina sein mußte. Er hob die Fahne und blickte sich um. Nun stand er in der ersten Reihe, aber Valentina war nicht zu sehen. Das begriff er nicht, er hatte sie zu den Panzern laufen sehen, dem blonden Kerl folgend, der sich in die Fahne gewickelt hatte.
    Er ließ die hoch erhobene Fahne sinken, drehte sich um und suchte mit flackernden Augen die schreiende Menge ab. Einmal glaubte er, Valentina zu sehen … aber dann war es ein anderes Mädchen mit schwarzen Haaren, das Plastikbeutel mit weißer Farbe gegen die Panzer warf.
    Tschernowskij war wie von Sinnen. Sie ist weg, schrie es in ihm. Sie ist in dem Gewühl der Leiber untergegangen. Vielleicht ist sie schon verwundet und weggetragen worden. Oder sie ist mit einer anderen Gruppe zum Wenzelsplatz gefahren. Nur eins ist sicher: die Gelegenheit ist vertan!
    Er hob die Fahne und hieb in ohnmächtiger Wut gegen den neben ihm stehenden Panzer. Das hätte er nicht tun dürfen, denn er traf einen jungen Rotarmisten an der Stirn.
    Kein Mensch wird gern geschlagen, auch nicht mit einer Fahnenstange, und wenn man gar aus der Steppe kommt, ist solch ein Schlag eine tiefe Beleidigung.
    Der Rotarmist beugte sich etwas vor, nahm seine Maschinenpistole mit beiden Händen beim Lauf und ließ den stählernen Klappkolben auf den Kopf Tschernowskijs sausen. Es machte plop, und Oberst Tschernowskij, der jetzt aussah wie ein besonders freiheitsliebender Demonstrant, erlebte das Wunder, daß sich eine Straße, zehn Panzer, Tausende Menschen und mehrstöckige Häuser in tanzende Sterne auflösten und wie ein Goldregen auf ihn herunterfielen.
    Den hellen Aufschrei der empörten Masse hörte er schon nicht mehr. Hilfreiche Hände zogen ihn vom Panzer weg, trugen ihn zu einem Ambulanzwagen und schoben ihn auf einer Trage hinein.
    So wurde es möglich, daß der sowjetische Geheimdienstchef Oberst Tschernowskij ein paar Stunden später in einem tschechischen Krankenhaus in einem weißen Bett erwachte und eine freundliche Krankenschwester zu ihm sagte:
    »Haben Sie keine Sorge, mein Herr … es ist nur eine dicke Beule und eine leichte Gehirnerschütterung. Bleiben Sie ganz ruhig liegen …«
    Tschernowskij verstand diese tschechischen Worte zwar nicht genau, aber den Sinn begriff er. Seufzend schloß er die Augen. So etwas muß mir passieren, dachte er. Wenn das jemand in Moskau erfährt … in eine Hütte irgendwo in der Taiga könnte man sich verkriechen.
    Eine Stunde gönnte er sich, um sich selber zu bemitleiden. Dann handelte er klug wie in alten

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