Bluthochzeit in Prag
Richtung wieder, weil Lucek ihn zur Gegenseite herumriß.
Jetzt erst überfiel ihn der Schmerz. Er zerfraß die Hirnwindungen, ließ die Zähne klappern und die Zunge anschwellen. Die ganze linke Körperseite lag wie im Feuer, die Hand zuckte hoch, immer und immer wieder, so wie sich ein Fisch aufbäumt, wenn er an Land geworfen ist und erstickt.
Lucek stöhnte, aber seine Füße blieben auf dem Gaspedal. Die Straße begann zu schwanken, so als segle er über ein Meer und gleite von Welle zu Welle. Dann wurde der Blick plötzlich wieder klar, er sah in den Rückspiegel und erkannte, daß die beiden anderen Russen zurückgeblieben waren und sich über ihren Kameraden beugten.
Aber nicht lange blieben die zwei Lichter hinter ihm stehen. Neue Scheinwerfer tauchten auf, größere, mehr und mehr, eine ganze Kolonne. Vier Funkwagen und zehn Motorräder setzten die Verfolgung fort. Jetzt wurde es eine gnadenlose Jagd.
Während dieser Minuten hatte aber auch Valentina gehandelt. In der Dunkelheit herumtastend, hatte sie ein kurzes, flaches Eisen gefunden. Nun stand sie an der Rücktüre, rammte es gegen das Schloß und stieß einen Schrei aus, als sich knirschend das Blech bog und sie einen Zentimeter Straße sah. Mit aller Kraft setzte sie das Eisen als Hebel ein, brach die Tür auf und hielt dann die beiden Flügel fest, damit sie nicht zur Seite wegschlugen.
Sie lehnte den Kopf an die zugehaltene Tür und weinte. Sie biß sich in den Handrücken und schrie in den dunklen Raum hinein und warf den Kopf zurück und heulte wie eine verhungernde Wölfin. Dann hob sie die Schultern, starrte hinaus auf die Straße und erkannte die breite Reihe der schnell näher kommenden Motorräder und Funkwagen.
Lucek fuhr jetzt ohne Kontrolle. Er sah kaum noch die Straße, die Strahlen seiner Scheinwerfer tanzten vor seinen Augen einen wilden Reigen, und wenn er das Lenkrad bewegte, war es, als sei es aus der Schnecke gesprungen und nur noch ein Gummiding, das man hin und her, vor und zurück biegen konnte. Sein Körper begann nach dem fürchterlichen brennenden Schmerz nun zu vereisen. Kälteschauer durchjagten ihn, er klapperte mit den Zähnen, der Frost trieb seine Haare an den Schläfen hoch, er hatte das Gefühl, daß selbst der Speichel in der Mundhöhle zu Eis gefror.
Valentina stieß die Tür auf, als die Kolonne der Sowjets so nahe herangekommen war, daß sie die Gesichter unter den Helmen erkennen konnte. Mit ausgebreiteten Armen hielt sie sich fest und stellte sich mit gespreizten Beinen in die offene Tür. Wie eine schwarze Fahne wehte das Haar über ihr Gesicht, der Fahrtwind riß an ihr und war so stark, daß sie alle Kraft brauchte, sich gegen den Sog zu stemmen und festzuklammern.
Ihr Erscheinen löste bei den Russen einen lähmenden Schock aus. Die erste Reihe nahm das Gas weg, auch die Funkwagen bremsten.
»Hat man so etwas schon gesehen?« schrie der Leutnant, der im vordersten Wagen saß. »Meldung sofort an den Genossen Oberst: Ein Mädchen steht in der offenen Wagentür. Es sieht so aus, als wollte es sich auf die Straße stürzen. Wie sollen wir uns verhalten?«
Auf der Staatsstraße 8 wartete noch immer Oberst Tschernowskij auf das Ergebnis der Jagd. Funkwagen II war neben ihn gefahren und hatte Verbindung zu den Verfolgern. Als die Meldung durchkam, wurde er blaß. Das ist Valentina! Nur sie kann so handeln, nur sie hat diesen Mut! Sie bringt es fertig und springt in die verfolgende Kolonne hinein. In Tschernowskij zerbrach seine Seele wie Glas. Er spürte ganz deutlich … es war ein Schmerz, der von den Zehen bis zu den Haarspitzen zuckte.
»Halten!« Er erkannte seine Stimme nicht wieder. Es war ein hohler, klagender Ton in ihr. »Anhalten! Der Lieferwagen soll weiterfahren. Dem Mädchen darf nichts geschehen. Gar nichts! Ich mache den Kommandeur der Funkkolonne dafür verantwortlich. Wenn sie dennoch springt, ist sie sofort ins nächste Feldlazarett zu bringen. Der Wagen darf weiterfahren. Am wichtigsten ist das Mädchen.« Er zögerte, aber dann entschloß er sich doch, die Wahrheit zu sagen. Das Leben Valentinas war wertvoller als jegliches Versteckspielen. »Es ist Valentina Kysaskaja vom KGB. Sie handelt in Erfüllung ihres Auftrages.«
»Prost!« sagte der junge Leutnant, als der Funker durch eine Klappe in der Rückwand die Worte Tschernowskijs hereinreichte. »Ich kenne mich nicht mehr aus. Dieses Land ist ein einziges Irrenhaus. Nichts ist mehr logisch. Erst schießen, dann streicheln … und
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