Bluthochzeit in Prag
was man macht, ist falsch.«
Er starrte auf Valentina, die noch immer mit ausgebreiteten Armen in der Tür stand. Zwei Suchscheinwerfer tauchten sie in gleißendes Licht und blendeten sie.
Und dann geschah es. Die kurze Sekunde eines neuen Schwächeanfalls von Lucek, in der er unbewußt den Fuß vom Gas nahm, nutzte Valentina aus. Wie eine Katze stieß sie sich ab, schwebte mit angezogenen Beinen in der Luft, die Kette der Motorräder teilte sich, die Funkwagen bremsten kreischend … dann kam Valentina auf, federnd in den Knien, zog die Arme an, legte sie schützend vor das Gesicht und rollte sich über den harten Asphalt ab, eine menschliche Kugel, die sich ein paarmal überschlug, ehe sie am Rande der Straße liegenblieb.
Sekunden später waren vier Russen bei ihr, hoben sie auf, stützten sie und trugen sie durch das Licht der Scheinwerfer zum ersten Wagen. Dort stellte man sie vorsichtig auf die Erde. Sie knickte nicht ein und fiel nicht um, sondern schob nur mit beiden Händen die Haare von ihren Augen.
»Da bin ich«, sagte sie, als der Leutnant zu ihr trat.
»Sie bluten, Valentina Konstantinowna.« Er reichte ihr sein Taschentuch. Sie nahm es und drückte es gegen die linke Wange.
»Nur eine Rißwunde.« Sie sah sich um. Der Wagen Luceks raste weiter, aber niemand verfolgte ihn mehr.
»Sie haben sich vorbildlich fallen lassen, Genossin«, sagte der junge Leutnant. »Sie haben sich überhaupt nicht verletzt.«
»Nein.« Valentina blickte an sich hinunter. Bis auf den Schmutz der Straße hatte der Sturz keine Spuren hinterlassen. Nur die kleine Rißwunde an der Wange. »Ich habe es gelernt. Ich war die Beste im Fallschirmspringerlehrgang in Kiew.«
Der junge Leutnant sah sie verwundert und etwas ratlos an. Dann hielt er die Tür des Funkwagens auf und nickte. »Bitte, steigen Sie ein, Genossin. Ich habe den Befehl, Sie sofort zu Oberst Tschernowskij zu bringen.«
»Das habe ich erwartet.« Sie warf den Kopf in den Nacken und sah noch einmal zurück auf die Straße. Weit vor ihnen wurden die roten Rücklichter von Michaels Wagen kleiner und kleiner.
Leb wohl, Micha …
Sie stieg ein, schloß die Augen und lehnte den Kopf zurück. Was jetzt kam, war ihr gleichgültig. Sie hatte aufgehört zu leben. Nur eine Hülle war sie noch, die zufällig Valentina Konstantinowna Kysaskaja hieß.
*
Karel Pilny und Irena Dolgan hatten den Ausstieg Nr. 32 erreicht. Mit keuchenden Lungen waren sie den Abwasserkanal hinuntergelaufen, bis Pilny den gut gezeichneten Eisendeckel fand. Er kletterte an den verrosteten Steigeisen hoch, stemmte den Deckel auf und atmete tief die reine Nachtluft ein. Noch nie hatte er einen Atemzug so genossen wie jetzt. Wie köstlich Luft ist, empfand er. Welch ein Duft schwebte über der Erde!
Er zog Irena aus dem Einstiegsloch, und auch sie atmete erst ein paarmal tief ein und aus.
»Dort steht der Wagen.« Pilny sah auf seine Uhr. Wenn Luceks wahnsinniger Durchbruch gelungen war, dann mußte er jetzt die Staatsstraße 5 erreicht haben. Ob er es geschafft hatte? So verrückt sein Plan gewesen war … hatte er den Wagen gerettet, bedeutete das für den gewaltlosen Widerstand gegen die Sowjets einen unschätzbaren Gewinn. Mit den Batteriesendern, die sie in den Rucksäcken mitschleppten, konnten sie nur einen engen Umkreis erreichen. Im Wagen aber war der gesamte technische Apparat eines kompletten Senders installiert, modern und lückenlos wie in einem Studio des Funkhauses Prag.
Sie verstauten die Rucksäcke auf den Hintersitzen, warfen sich dann in den Wagen des Oberwärters und fuhren ab. Der Schlüssel hatte im Handschuhkasten gelegen, der Tank war voll.
Die Straßen, durch die sie fuhren, waren still und wie ausgestorben. Die Menschen saßen vor den Fernsehgeräten und an den Radios, hörten die neuesten Meldungen und suchten die Skala ab, um einen der Freiheitssender zu bekommen. Nur ein paar Autos begegneten ihnen, in der Nähe der Staatsstraße 5 waren es zwei sowjetische Transporter.
Über Landstraßen und Feldwege erreichten sie die Chaussee kurz vor der Obstplantage. Sie umfuhren damit, ohne es zu wissen, die Sperre, in die Lucek hineingeraten war. Auf dem Parkplatz hinter der Bushaltestelle stellten sie den Motor ab, löschten die Lichter und warteten. Mit unruhigen Fingern steckte Pilny zwei Zigaretten an und reichte eine an Irena weiter.
»Glaubst du, daß sie es geschafft haben?« fragte sie nach einer ganzen Zeit stummen Rauchens.
»Ich wünsche es ihnen. Wir warten
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