Bluthochzeit in Prag
bis 22 Uhr. Sind sie bis dahin noch nicht hier, müssen wir weiter.«
Sie warteten ungefähr eine halbe Stunde, als sie endlich in einer Kolonne von Lastwagen und Privatautos auch den Aufbau des Fleischerwagens entdeckten. Wie elektrisiert fuhr Pilny hoch, riß die Tür fast aus den Angeln und stürzte auf den Parkplatz.
»Er ist da!« schrie er und winkte mit beiden Armen. »Micha hat es geschafft! Er hat den Wagen gerettet! Micha –«
Lucek bog auf den Parkplatz ab, nahm das Gas weg, ließ den Wagen ausrollen und trat erst kurz vor Pilny und Irena auf die Bremse. Dann stieß er die Kabinentür auf und ließ sich einfach aus dem Wagen fallen. Pilny fing ihn auf und griff in einen Anzug, der sich vollgesogen hatte mit Blut.
»Er ist verwundet! Irena! Faß an … er ist ganz voller Blut!« schrie Pilny. Er schleifte Lucek vom Wagen weg, Irena ergriff ihn an den Beinen, und so trugen sie ihn ein paar Meter weiter in die Dunkelheit. Dort legten sie ihn an den Rand einer Wiese.
»Mensch, Micha … alter Junge, was ist denn los? Micha …« Pilny hob den Kopf Luceks etwas an. Er sah in verschwimmende, wegrollende Augen. »Was ist denn passiert?«
»Sie … sie haben mich beschossen …« Lucek versuchte ein Lächeln. Die Schwäche durch den Blutverlust ließ seine Welt so leicht, so schwebend, so problemlos werden. »In die Schulter … keine Sorge … Kümmert euch um Miroslava …«
Irena rannte weg, aber ebenso schnell war sie wieder zurück. Ihr Gesicht war wie aufgelöst.
»Die Tür ist offen …« stammelte sie. »Aufgebrochen … Miroslava ist nicht mehr im Wagen …«
»Nicht mehr …« Lucek fuhr hoch. Woher er noch die Kraft nahm, – es war ein Rätsel. »Sie ist nicht mehr im Wagen?« keuchte er.
»Nein –«
»Miroslava …« Lucek sprang hoch. Er taumelte, ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu behalten und schwankte zum Wagen. Als er die offene Rücktür sah, brüllte er dumpf auf und warf sich herum. »Sie haben sie entführt!« schrie er. »Die Russen haben sie entführt! Ich muß zu ihr. Ich muß zurück! Ich muß …«
Er stolperte zum Führerhaus, hustend und stöhnend, aber mit der Energie eines angeschossenen Bären.
Pilny, der sich ihm in den Weg stellte, bekam es zu spüren … die Hand, die ihn zur Seite fegte, war geladen mit wilder Kraft. »Wo willst du sie denn suchen?« rief er. »Das ist doch Wahnsinn. Du kommst mit uns, Micha! Du brauchst einen Arzt.«
»Ich brauche sie!« Lucek schwankte, aber er versuchte, sich an dem Wagen hochzuziehen. »Aus dem Weg, Karel! Laß mich!«
Er hieb auf die Hände Pilnys, die ihn zurückrissen, und als die Finger sich in seinen Anzug krallten, schlug er Pilny mit der Faust gegen die Stirn.
Einen Moment schloß Pilny erschüttert die Augen. Dann holte er aus und hieb Lucek unter das Kinn. Er gab einen ächzenden Laut von sich, knickte in den Knien ein und fiel gegen Irena, die ihn auffing.
»Es mußte sein!« sagte Pilny heiser. »Und nun zu einem Arzt! Mein Gott … er hat ja kaum noch Blut in sich –«
*
Zwischen der Ankunft Luceks mit dem Fleischerwagen und der Abfahrt Pilnys auf der Suche nach einem Arzt hatten fünfzehn Minuten gelegen, in denen er und Irena wie die Besessenen arbeiteten. Viel hatte Lucek nicht mit dem Funkwagen gerettet … die Maschinenpistolensalven hatten die beiden Sender zerstört; was brauchbar war, baute Pilny nun aus. Es waren eine große Batterie, eine komplizierte Antenne, ein Kurzwellensender und ein Sprechfunkgerät. Auch eine Kiste mit Trockenbatterien war noch unversehrt. Das war ein wahrer Schatz, denn wenn man gezwungen wurde, in die böhmischen Wälder zu flüchten und dort in den unwegsamen, fast noch urwaldähnlichen, zerklüfteten und einsamen Bergschluchten den neuen Freiheitssender aufzubauen, waren Batterien das einzige schlagende Herz.
Nach dem Ausbau der Geräte fuhr Pilny den Lieferwagen dicht an den hohen Zaun der Obstplantagen. Hier war tiefer Schatten, von der Straße aus sah man nichts als eine schwarze Wand, die sich oben in Äste und Blätter auflöste.
So entdeckten Streifen der Roten Armee auch erst beim Morgengrauen den überall gesuchten Fleischerwagen mit den aufgemalten Rindsköpfen und Schinken. Tschernowskij, der sich alle Meldungen vorlegen ließ, las zufrieden den letzten Bericht. Er traf gegen 6.37 Uhr auf der Dienststelle ein.
»Überall Blut im Führerhaus. Das ist gut«, sagte er und machte sich einige Notizen. »Von jetzt ab ist das Sache des tschechischen
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