Bluthochzeit in Prag
Geheimdienstes. Ein Mann mit mehreren Kugeln im Leib muß zu einem Arzt, er muß in ein Krankenhaus, er muß operiert werden.«
»Sie müssen diesen Mann ausfindig machen, Genosse«, sagte Tschernowskij und schob die Mappe dem Leiter des Dezernats III der Geheimpolizei zu. Der Tscheche, ein knorriger, wortkarger Mensch, Altkommunist und ausgebildet in der Agentenschule von Frunse in der Sowjetunion, nickte und nahm die Ermittlungsmappe an sich. »Wenn Sie heute oder morgen hundert rebellische Schriftsteller und Redakteure verhaften, so imponieren Sie mir nicht damit. Aber diesen Mann da muß ich haben! Er ist für mich interessanter als alle Prager Frühlingsmacher.«
Der wortkarge, knorrige Tscheche erhob sich und klemmte die Mappe unter den Arm. »In einer Stunde haben Sie die Liste aller Operierten, Genosse Oberst«, sagte er mit rauher Stimme.
Aber nach einer Stunde wußte Tschernowskij nicht mehr als vorher.
In den Prager Krankenhäusern lagen 23 Verwundete dieser heißen, patriotischen Nacht. Die Geheimagenten hatten gründlich gearbeitet und sich die Verletzten gleich angesehen. Ein großer, blonder Mann war nicht unter ihnen.
Es war acht Uhr morgens, der 22. August, und Valentina Kysaskaja wartete immer noch.
*
Der Arzt, den sie in der nächsten Ortschaft herausschellten, saß wie alle Prager um diese Zeit am Rundfunkgerät und lauschte mit zitterndem Herzen auf die Stimmen der verschiedenen Freiheitssender. Was das jetzt wieder offizielle Radio Prag meldete, die Aufrufe Svobodas und des Zentralkomitees, Ruhe zu halten und die Sowjets als Freunde zu betrachten, wurde nicht ernst genommen. Man wußte, wie diese Appelle zustande kamen … mit dem Bajonett im Rücken. Die bebenden Stimmen der Sprecher verrieten mehr als ihre Worte. Man hörte in diesen Stunden im ganzen Land auf die Zwischentöne. Sie gaben mehr preis als alle versteckten Andeutungen.
Pilny fuhr den Wagen auf den Bürgersteig, und er mußte zehnmal auf den Klingelknopf drücken, bis über der Haustür eine Lampe aufflammte und auf der ersten Etage ein Fenster geöffnet wurde.
»Was ist los?« rief eine Stimme aus der dunklen Fensterhöhle. Man sah keine Gestalt, keinen Kopf … der Mann mußte seitlich vom geöffneten Fensterflügel im Dunkeln stehen.
»Sind Sie Dr. Matuc?« fragte Pilny. Er trat einen Schritt zurück. Jetzt erschien ein grauhaariger Kopf im Fenster und sah auf die Straße.
»Ja.«
»Ich bringe Ihnen einen Patienten. Bitte, machen Sie schnell auf.«
Das Fenster oben fiel zu. Im Treppenhaus flammte Licht auf. Pilny und Irena zerrten den stöhnenden Lucek vom Rücksitz und hielten ihn mühsam zwischen sich, als Dr. Matuc die Haustür aufriß. Ein Blick genügte ihm, um die Situation sofort zu erkennen. Er faßte mit an, fragte nichts, trug Lucek die Treppe hinauf und legte ihn auf die mit Wachstuch abgedeckte Liege, die anscheinend in den Untersuchungszimmern aller Ärzte der Welt steht.
Pilny rannte zurück auf die Straße, parkte den Wagen vorschriftsmäßig am Bürgersteig, schloß ihn ab und lief dann in die Arztpraxis zurück.
Dr. Matuc saß neben Lucek und schnitt mit einer großen Schere das blutverkrustete Hemd auf. Irena versuchte, die Jacke über Luceks Schulter zu streifen. Er war noch ohne Besinnung, sein Kopf hing seitlich herab, und sein Atem pfiff aus dem halbgeöffneten Mund.
»Ein Lungenschuß?« fragte sie gerade, als Pilny zurückkam. Dr. Matuc schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber nicht weit dran vorbei.« Er hatte den Oberkörper Luceks frei, und jetzt erst sah man, daß es zwei Einschüsse waren, eng nebeneinander. Auf dem Rücken aber blutete nur ein Ausschußloch.
»Steckschuß«, sagte Pilny, ehe Dr. Matuc weitersprechen konnte. »Ist es schlimm, Doktor?«
»Der Blutverlust ist hoch. Er muß sofort in eine Klinik.«
»Das ist unmöglich.«
»Ach so.« Dr. Matuc legte Lucek vorsichtig zurück auf die Wachstuchliege, ging zu einem weißlackierten Schrank, holte einige braune Flaschen, einen Berg Zellstoff und Watte heraus und begann, zunächst das Blut von Luceks Brust mit Alkohol abzuwaschen. Aus den Einschüssen sickerte es nur noch mager, der Ausschuß im Rücken begann zu verkrusten. Hier stand die Blutung von selbst. »Wie ist das passiert?«
»Er hat mit einem Lastwagen eine sowjetische Straßensperre durchbrochen.« Pilny sah sich im Zimmer um. An den Wänden hingen einige Bilder und Schriftstücke. Eingerahmte Diplome, die Promotionsurkunde, Fotos von Dr. Matucs Lehrern an den
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