Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
über ihre Ausgelassenheit freuen. Schwester Catharina hatte dies immer ein wenig empört. Denn verglichen mit dem Gebaren der benachbarten Franziskanerbrüder benahmen sich Gregor und Johannes wie Weltleute – den Vergleich zu den Augustiner-Barfüßern hatte Catharina gar nicht erst gestellt.
War ihr gerade noch zum Weinen zumute gewesen, musste sie jetzt wider ihren Willen lächeln. Teils, weil sie daran dachte, wie sie als Schützling der beiden Mönche ein paar freche Bemerkungen machen konnte, teils weil sie zufrieden über ihre Arbeit war. Sie hatte Roggenstrohbänder gebündelt und klemmte gerade die Garbe zwischen die Steckenpyramide. Die Luft war kälter geworden und die Schatten riesig. In ihrem Bauch grummelte es von den vielen Trauben. Morgen früh würde sie an Rudolfs Worte denken. Denn jetzt im November bei Dunkelheit mit Koliken auf den eisigen Latrinen zu sitzen, war eine der größten Strafen, die das Klosterleben zu bieten hatte.
Barbara war eingefallen, wie sie bei Johannes einen Lachanfall ausgelöst hatte, nachdem der sie wegen ihres Gewichts nicht länger mehr halten konnte. »Das nächste Mal stell’ ich mich auf die Zehenspitzen«, hatte sie gesagt, »dann braucht ihr euch für euer Küsschen nur noch etwas bücken.«
Schwester Catharina war so entsetzt gewesen, dass sie ihr den nächsten Tag nur kopfschüttelnd begegnet war und immer wieder »Barbara, wo ist dein Anstand geblieben?« vor sich hin gemurmelt hatte. Beim nächsten Besuch wollte sie ihre Frechheit noch überbieten, aber da hatte ihr Schwester Catharina eine gelangt – die einzige Ohrfeige an die sie sich erinnern konnte. Wieder hatte sie ihr Sprüchlein mit dem Herunterbücken angebracht, worauf Johannes im Scherz gefragt hatte, ob sie jetzt immer diese devote Haltung einnehmen müssten, wenn sie ihr etwas sagen wollten. »Nein«, hatte sie da ausgerufen, »nur dann, wenn ich euch das Küsschen gebe, das ihr in Tennenbach dem Vater Abt weitergeben müsst.«
Ein Kälteschauer lief Barbara über den Rücken. Die letzten drei Rebzeilen würde sie nun doch nicht mehr schaffen. Hatte es heute Mittag noch so ausgesehen, war es jetzt zu spät. Die Uhr von der Ihringer St. Martins-Kirche schlug schon halb fünf. Über die Erinnerungen war sie ins Trödeln gekommen, auch, weil sie ihre Kräfte so verausgabt hatte, dass sie gar nicht mehr gespürt hatte, wie langsam ihre Handgriffe geworden waren. Zudem machte sich ein gewaltiger, seit Tagen aufgestauter Hunger bemerkbar, denn vor Trauer war sie nicht zu bewegen gewesen, ans Essen zu denken.
Auf dem Klosterhof verabschiedete sie sich vom dicken Rudolf und den Brüdern, die in der Stube gerade einen Krug Wein leerten. Fünf Tage Klosterlangeweile lägen jetzt wieder vor ihr, klagte sie, lieber würde sie hier schlafen als in ihrer Kammer. Rudolf kniff ihr in die Wange und sagte humorig, morgen früh würde er an sie denken und sie beneiden, dass sie nicht wieder in die Reben müsse.
»Dir wird morgen trotz deiner jungen Jahre jede Faser schmerzen, so wie du gerackert hast«, sagte er. »Wahrscheinlich wird man dich ins Klassenzimmer tragen müssen, weil du dir so steif vorkommen wirst, als ob du einen Rebstecken verschluckt hättest.«
Barbara protestierte, aber Rudolf hielt ihr vor, wie anstrengend die Arbeit gewesen sei. Ihre Begeisterung habe zwar angeschlagen wie ein Zauberwerk, aber morgen würde ein Kater folgen, den sie auf ewig nicht vergessen werde. »Und Mère Bataille wird keinen günstigsten Eindruck haben, Barbara«, setzte er hinzu, »sie denkt bestimmt, wir Zisterzienser seien Ausbeuter.«
»Dann müsst ihr alle dagegenhalten«, rief Barbara bittend in die heiteren Gesichter, »denn wenn ich hier nicht mehr her dürfte, ginge es mir wie einem Fisch an der Luft.«
Von Ihringen nach Breisach war es nicht weit. Der Weg lag zu Füßen des Krebs- und Föhrenbergs und war auch bei Dunkelheit sicher zu gehen. Barbara fürchtete sich nicht, obwohl es jetzt schon mehr Nacht als Abend war. Die Nebel, die aus den Allmendwiesen aufstiegen, rissen einen bitter erdigen Geruch mit sich und wenn man genau hinhörte, vernahm man ein unheimliches Rascheln.
Barbara spürte, wie ihr die Arbeit half, über den Schmerz hinwegzukommen. Sie fühlte sich auf einmal leicht, und als ihr jetzt, während sie dem Kloster zutrottete, wieder einzelne Erlebnisse vor Augen traten, brauchte sie nicht mehr mit den Tränen kämpfen. Es blieb ihr ja noch Johannes und der dicke Rudolf war wie ein
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