Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
eine Marquise, wie ja jeder hier sehen könne. Mehr dürfe sie aber nicht verraten.
Barbara versuchte krampfhaft, sich die Gesichtszüge Colettes vorzustellen, doch die weißgeschminkte Pompadour-Maske verdrängte jeden individuellen Zug. Woher aber wusste diese Colette-Pompadour, dass der Bartholomäustag ihr Geburtstag war? Denn auf den Kopf hatte sie es ihr zugesagt – während sie zugleich Johannes aufmerksam musterte. Hatte sie es schlicht geraten? Oder wusste sie, dass das schulschwesternschwarz gekleidete Mädchen in Begleitung zweier Mönche das Findelkind der Breisacher Nonnen war?
Johannes, der Colettes Blicke sehr wohl gemerkt hatte, sagte mit versteinerter Miene, wenn sie Hellseherin sei, gebe er ihr den Rat, aus dieser Fähigkeit Geld zu schlagen. Verschreckt hatte Madame Pompadour sich gerechtfertigt, indem sie erzählte, sie habe einen Sohn, der vor zwei Tagen neun Jahre alt geworden sei – nur aus Sehnsucht nach ihm, denn er wachse bei der Großmutter in Oberrotweil auf, habe sie dies so dahergeredet.
Johannes hatte sich mit der Antwort zufriedengegeben. Aber, Barbara erschrak bei diesem Gedanken, warum hatte diese auf einmal so unsicher gewordene Colette erzählt, dass ihr Sohn neun geworden war? Wollte diese Pompadour damit andeuten, sie hätte ihr angesehen, dass sie, Barbara, genauso alt geworden war, wie ihr Kind? Aber warum hatte sie dann das Gespräch so plötzlich abgebrochen? Unter einem Vorwand war sie plötzlich vom Stuhl gesprungen und im Kastenwagen verschwunden. Dabei hatte der Gnom ihr noch nicht einmal das Gesicht gepudert.
Barbara beschleunigte ihre Schritte. Die Uhr schlug bereits dreiviertel. Auf einmal glaubte sie den Worten dieser Colette nicht mehr. Damals hatte sie das alles nicht so recht begriffen, aber jetzt bekam es für sie eine neue Bedeutung. Vielleicht hatte diese Möchtegern-Pompadour ja gar keinen Sohn? Nein! Vielleicht tat sie ihr Unrecht. Und überhaupt: Was nützte es ihr jetzt? Sechs Jahre später? Doch warum hatte Colette Johannes so gemustert? Ihn, der durch sein weißes Habit so deutlich als Zisterzienser zu erkennen war. Hatte sie etwa auch gewusst, dass er aus Tennenbach kam?
»Barbara, Kind!« Die Stimme Schwester Catharinas riss Barbara aus ihren Grübeleien. Ihre Ziehmutter wartete an der Tür auf sie. »Du bist spät heute. Es ist gleich Vesper!«
»Ja, Mutter«, entgegnete Barbara, der es nicht schwer fiel, sich wieder auf die Klosteratmosphäre einzustellen. Übermütig lachte sie Schwester Catharina ins Gesicht und sagte: »Der dicke Rudolf wollte mich gar nicht mehr ziehen lassen, glaubt Sie´s?«
»Dem sofort«, sagte Schwester Catharina. »Dass er’s faustdick hinter den Ohren hat, hab’ ich schon bei der ersten Begegnung gemerkt. Ich hoffe, du hast uns keine Schande gemacht und gebührend Anstand gezeigt.«
»Oh! Oui, oui, ma che`re maman «, kicherte Barbara. »Isch ab ihn nur gekühst. Und er at misch beinah gezogen in dunkle Weinkeller.«
»Kaum bist du hier, führst du dich wieder auf!« rief Schwester Catharina ihr nach, freute sich dann aber doch, dass Barbara im Vergleich zu gestern Abend wie ausgewechselt wirkte.
Barbara hatte gerade noch Zeit, sich umzuziehen, da schlug die Uhr sechs. Am Tisch saß sie heute Schwester Marianne gegenüber. Vor zwei Wochen hatte ihre Feindin verkündet, sich auf dem nächsten Konvent für eine Disziplinierung stark zu machen. Denn ihre Unbotmäßigkeit überbiete das Maß christlicher und erzieherischer Milde. Heute war Konvent. Barbara grüßte sie artig und forschte in ihrem Gesicht. Und Schwester Marianne war zuvorkommend wie lange nicht mehr.
18
Das kurze Gebet um Frieden und Eintracht, das Mère Bataille allen Konventsitzungen voranstellte, war gesprochen. Im Abstand von zwei Wochen versammelte die jetzt sechsundsechzigjährige Oberin ihre Breisacher Schulschwestern nach der Vesper bei sich: um sie nach ihren Schwierigkeiten und Erfolgen zu befragen, um Rat zu geben, zu trösten und um gemeinsam die Erziehungspläne gegebenenfalls zu korrigieren.
Auf acht Schwestern und drei Novizinnen war der Orden seit seiner Niederlassung im Jahr 1731 angewachsen. Und jetzt, nach 35 Jahren, war es eng geworden bei den französischen Nonnen, wie sie allgemein vom Volk genannt wurden. Das Haus des früheren Bürgermeisters Gottlob Dischinger, das die Stadt samt Hof und Stallungen den »Regulierten Chorfrauen des Heiligen Augustinus von der Kongregation Unserer Lieben Frau« geschenkt hatte, lag zu dicht
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