Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
sie noch hinter die Strohmatten der Latrinen gespickt, um nachzuforschen, ob man sich nicht etwa unzüchtig anfasste. Wochenlang fieberte sie jedem Besuch aus Tennenbach entgegen und war dann noch schwerer zu bändigen als an den übrigen Tagen. Um der Sorgfaltspflicht der übernommenen Mantelkindschaft Genüge zu leisten, durften Gregor und Johannes sie zweimal im Jahr besuchen. Zu ihrem Geburtstag überbrachten sie die Segenswünsche des Abts, zusammen mit einem Geldgeschenk, das ihr einmal als Mitgift ausgezahlt werden sollte. Leopold Münzer, der drei Jahre nach ihrer Geburt gestorben war, hatte die Mantelkindschaft kurz vor seinem Tod noch einmal bekräftigt und sein Nachfolger Benedict Stoecklin hatte sie genauso bestätigt wie Maurus Berier, der jetzt seit einem Jahr dem Kloster vorstand.
Kaum dass sie Gregor und Johannes gehört hatte, die in Gesellschaft einer Schwester im Sekretariatszimmer auf Barbara warteten, war sie losgerannt. Jedes Mal hatte ihr Schwester Catharina dann hinterhergerufen: »Barbara, benimm dich! Du fällst noch, Kind!«
In ihrer Freude war sie nie zu halten gewesen. Mit aller Wucht hatte sie sich in das Weiß und Braun der Zisterzienser-Habite gestürzt, sich hochheben lassen, um sich darauf von Johannes und Gregor Küsse auf Stirn und Wangen abzuholen. Jetzt war ihr aufgegangen, dass dies die einzigen Küsse waren, an die sie sich erinnern konnte. Schwester Catharina streichelte ihr den Kopf und nahm sie auch einmal in den Arm – aber Küsse? Küsse hatte sie nur von Gregor und Johannes bekommen, zwei Mönchen!
Wieder eine Rebzeile war fertig. Barbara stellte die herausgezogenen Rebstecken zu einem pyramidenförmigen Steckenhaufen zusammen. In den nächsten Tagen würde einer von den Lohnknechten sie einsammeln und sie in den eigens dafür gegrabenen Steckenkeller schaffen. Selbst zwei Stunden nach Mittag fühlte Barbara sich noch bei Kräften. Schon gestern hatte sie sich darüber gewundert. Der dicke Rudolf hatte ihr erklärt, dies liege an der Bewegung in der kühlen Luft und an den vernaschten süßen Trauben. Jetzt, in der späten Nachlesezeit seien die vereinzelt hängengebliebenen Beeren besser als alle Stärkungsmedizin der Welt. Allerdings dürfe man es nicht übertreiben, sonst fühle man sich am nächsten Morgen elend, wenn sie verstünde, was er damit meine. Barbara hatte sich auf Anhieb mit diesem väterlichen Zisterzienserkonversen verstanden, der ihr das erste Kompliment ihres Lebens gemacht hatte. Sie sei süßer als der Federweißer, hatte er ihr einmal an einem gewittrigen Augustnachmittag zugeflüstert. Wenn ein Mannsbild deshalb zu lange mit ihr zusammen sei, würde sie ihm in der Nacht wohl heftiger im Kopf umgehen als ein Krug des jungen Sausers. Er dürfe ihr so etwas sagen, hatte Rudolf auf ihr verlegenes Lächeln geantwortet. Denn erstens könne er ihr Vater sein, zweitens sei es nicht gelogen, und drittens brauche es ein Konverse nicht so ernst zu nehmen wie ein echter Mönch – erst recht nicht auf einem mit den Weltgeschäften verbandelten aushäusigen Klosterbauhof.
Rudolf erinnerte von seiner Stärke an Gregor, der damals, wenn er sie hochstemmte, oft geschnauft hatte: »Barbara, mein Mädchen! Du wirst entweder immer schwerer oder ich immer schwächer! Das letzte Mal kam’s mir schon so vor, aber seit heute weiß ich es sicher. Frag Bruder Johannes!«
In ihrer Erinnerung waren diese Begrüßungen von warmem Licht umflossen. Barbara hörte Gregors und Johannes’ Lachen, ebenso die vergeblichen Scheltworte Schwester Catharinas. Sie dachte daran, wie sie beide Arme ausgestreckt und wie ein Vogel geflattert hatte, während sich Gregor auf der Stelle drehte. Einmal war ihr dabei eine Sandale vom Fuß gerutscht und Johannes hatte ihr so die Fußsohle gekitzelt, dass sie sich vor Lachen verschluckt hatte. Hilflos angesichts der schwindenden klösterlichen Disziplin hatte Schwester Catharina ängstlich umhergeschaut, ob nicht Mère Bataille, die Mutter Oberin, etwa aus einem der Klassenzimmer treten könnte. »Du führst dich auf, als wärst du ein Straßenkind«, hieß es dann immer und Barbara erinnerte sich noch gut daran, wie sich Schwester Catharina einmal zu der Bemerkung hinreißen ließ: »Ihr Mönche seid ein Vorbild, das keines ist. Und wenn die Mutter Oberin jetzt kommen würde, müsste sie glauben, ihr wolltet Barbara verführen.«
Sie sei halt ein Wirbelwind, hatte Johannes geantwortet. Wenn Barbara seine Tochter wäre, würde er sich
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