Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
noch deutlich in den Ohren – aber er machte ihr nichts mehr aus. Und dementsprechend hatte sie sich an diesem Samstagvormittag verabschiedet: Mit einem zugeworfenen Kuss, den sie durch ein schnelles Züngeln über die Lippen verwegen eindeutig ausmalte, dazu mit einem Blick, der jedem Mann den Schlaf geraubt hätte. Das Krachen der Klosterpforte war das letzte gewesen, das Barbara danach gehört hatte. Zum Glück verblasste Schwester Mariannes keifendes Gesicht bereits nach den ersten Schritten. Und als die Rebenzeilen des Kaiserstuhls wieder die Landschaft beherrschten, war Barbara längst wieder in ihre Wünsche versponnen – den ehrgeizigen, Genuss und Ruhm verheißenden Wünschen von eigenen Fässern, Wein und Champagner.
Jeden erfreute das majestätische Bild, niemand sah oder spürte irgendeine Veränderung. Mit gewohnter Pracht hielt die Oberrotweiler Eiche den immer wiederkehrenden Fluten von Licht und Dunkelheit stand, unterredete sich mal säuselnd, mal knarrend mit dem Wind und hüllte sich in würzigen, dann wieder bitteren Duft, je nachdem wie das Wetter ihr nahte.
Manchmal schien sie still auf dem Eichberg zu thronen und nur wer sie aufmerksam betrachtete, spürte die kräftige Bewegung der vom Stamm strebenden Arme, fühlte den Schwung der nach allen Himmelsrichtungen greifenden Äste. Eine eigentümliche Spannung baute sich an solchen Tagen unter der Krone auf – als strenge die Eiche das Saugen ihrer Wurzeln und Atmen der Blätter an, als würden der uralte Stamm und das eigensinnig gewachsene Astwerk sich gegen etwas zur Wehr setzen. Wer sich dieser Stimmung lange genug aussetzte, würde schließlich nachdenklich den Alten im Dorf zustimmen, die schon immer gesagt hatten: Unsere Eiche atmet und fühlt, sie hat Seele.
Indes, niemand nahm sich die Zeit, ausgiebig zu schauen oder gar der Seele des Baumes nachzuspüren. Die Eiche galt als Wunder, sie war schön und man war stolz auf sie. Ein poetisches Gemüt konnte sich vielleicht an ihrer Erhabenheit entzünden und von des Baumes Unterhaltung mit Elementen und Gestirnen schwärmen – doch in Wahrheit dünkte sich jeder viel zu vernünftig, um für so etwas mehr als ein Lächeln übrig zu haben. Die Oberrotweiler Eiche? Gewiss, sie war ein besonderer Baum, aber mehr als ein belebtes Etwas war sie nicht. Nur Sonderlinge und einige wenige Alte faselten von ihrer Seele, dieselben, die dieses höchste Gut des Menschen schon Hunden, Katzen und Pferden zugestanden.
Und doch: Der Oberrotweiler Eichbaum führte einen stillen Kampf gegen die wachsende Fäulnis in ihrem Leib. Vergiftetes Wasser pumpte der Stamm in seine Krone, lähmte damit den Mut von Zweigen und Ästen, nahm ihnen den Genuss am Licht. Zuerst noch hatte das Holz dem inneren Verfall getrotzt, aber über die Jahre breitete sich doch Schwäche aus. Unmerklich schrumpften und weichten die Blätter, verlor die Härte des Stamms an erzener Kraft. Keine Menschenseele nahm es wahr, denn der Stolz des Baumes, sein Wille, war ungebrochen. In andere Dimensionen schien er auszugreifen und darauf zu warten, dass jemand den durch Jahrhunderte hindurch in seinen Ringen eingeschriebenen Plan erfüllen half.
ZWEITER TEIL
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Jeden erfreute das majestätische Bild, niemand sah oder spürte irgendeine Veränderung. Mit gewohnter Pracht hielt die Oberrotweiler Eiche den immer wiederkehrenden Fluten von Licht und Dunkelheit stand, unterredete sich mal säuselnd, mal knarrend mit dem Wind und hüllte sich in würzigen, dann wieder bitteren Duft, je nachdem wie das Wetter ihr nahte.
Manchmal schien sie still auf dem Eichberg zu thronen und nur wer sie aufmerksam betrachtete, spürte die kräftige Bewegung der vom Stamm strebenden Arme, fühlte den Schwung der nach allen Himmelsrichtungen greifenden Äste. Eine eigentümliche Spannung baute sich an solchen Tagen unter der Krone auf – als strenge die Eiche das Saugen ihrer Wurzeln und Atmen der Blätter an, als würden der uralte Stamm und das eigensinnig gewachsene Astwerk sich gegen etwas zur Wehr setzen. Wer sich dieser Stimmung lange genug aussetzte, würde schließlich nachdenklich den Alten im Dorf zustimmen, die schon immer gesagt hatten: Unsere Eiche atmet und fühlt, sie hat Seele.
Indes, niemand nahm sich die Zeit, ausgiebig zu schauen oder gar der Seele des Baumes nachzuspüren. Die Eiche galt als Wunder, sie war schön und man war stolz auf sie. Ein poetisches Gemüt konnte sich vielleicht an ihrer Erhabenheit entzünden und von des Baumes
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