Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
schienen, je tiefer sie kam. Verwundert hielt sie einen Moment inne, doch plötzlich sie so etwas wie einen Krampf in den Fingern. Der herausgekratzte Borkenstaub brannte unter den Nägeln und aus dem Ringfinger quoll Blut, das träge auf der Hand zerfloss.
3
Sollten die Glocken läuten! Barbara sprang ausgelassen zwischen den wirr gewachsenen Reben umher, mischte Tanzschritte in ihre Bewegungen und überließ sich fröhlichen Lauten. Übermütig verbeugte sie sich vor den stummknorrigen Kavalieren, fasste mit spitzen Fingern deren grünen Rankenrock, dann wieder schnappte sie wie ein Hund nach den Trauben und biss, die Hände auf dem Rücken verschränkt, in die reifen Beeren.
Sollten die Glocken über den Rand des Kaiserstuhls schallen! Von Burkheim und Breisach, von Dörfern und Klöstern! Sollten sie die Nacht einläuten oder zur Vesper rufen! Ab heute würden sie nie wieder die Macht bekommen, ihren Tageslauf einzuschnüren! Barbara fühlte sich leicht wie ein Vogel. Das erste Mal in ihrem Leben saß sie um diese Zeit nicht bei den Schulschwestern, brauchte nicht mit ihnen beten und musste nicht bei lauem Tee, Suppe, Grütze und Brot monotonen Erbauungsgeschichten zuhören. Es war endlich vorbei.
Morgen um diese Zeit würde sie bereits eine van Bergen sein. Frau des angesehenen Burkheimer Holzhändlers Cees van Bergen, Mitbesitzerin eines Stadthauses und dieses verwahrlosten Rebstücks. Warum also heute Abend wieder ins Kloster laufen? Sollten sie sich ängstigen in Breisach: Barbara war es gleichgültig. Gott hatte ihr schon andere Sachen verziehen. Ein Nachtlager würde sich schon finden. Entweder in einer Scheune oder – vielleicht gleich bei ihm? Wäre das nicht pikant? Barbara stellte sich das Gesicht von Schwester Marianne vor, schnitt ihr eine Grimasse und schleuderte übermütig eine Traube in die Luft.
In St. Michael, Niederrotweil, wollten sie heiraten – der kleinen Kirche mit dem wunderbar geschnitzten Hochaltar. Ihr Wunsch, dem sich Cees bereitwillig angeschlossen hatte. Er, der Reformierte, war da ganz frei. Für ihn würde morgen früh ein durchreisender Verwandter, ein Hochzeits-Commissar aus Amsterdam, die Trauung erledigen. Für die Schwestern kam selbstverständlich nur der katholische Ritus mit feierlich-priesterlicher Einsegnung in Frage. Wo dies geschehen sollte, dies allerdings hatte Barbara bestimmen dürfen. Ihr war so ziemlich jede Kirche recht, solange sie nicht in Breisach stand.
Es wurde Barbara nicht zuviel, durch die verunkrauteten und verwilderten Rebzeilen zu tanzen. Jeden Weinstock wollte sie einmal berührt haben. Mit gekünstelter Wut riss sie an wildgewachsenen Schossen und Gerten, die sie daran erinnerten, dass die Weinrebe von Natur ein Schlinggewächs ist, dem nur bei strenger Zucht Ertrag und gute Trauben abgetrotzt werden können. Doch sie würde diesen verlotterten Gewächsen schon beikommen! Mit all ihrer Kunst, die sie bei den Brüdern in Ihringen gelernt hatte. Einen Wein würde sie ausbauen, der sie selbst in Frankreich berühmt machen würde! Einen Kaiserstühler Vin mousseux, nur den Champagnern zu vergleichen! In kleinen Mengen, dafür aber umso exklusiver und genauso gut wie das, was in den Flaschenlagern der Champagnerfürsten von Reims oder Épernay lagerte.
An den äußersten Rand ihrer Rebzeilen gelangt, entschloss Barbara sich, dem stillen Zeugen ihrer Verlobung einen kurzen Besuch abzustatten – sozusagen als Antrittsbesuch der zukünftigen Winzerin und Grundstückseignerin. Schließlich war der Riesenbaum die sichtbare Grenze der freibesitzlichen Cees van Bergenschen Enklave inmitten des Lehenbesitzes der von Fahnenbergs. Schnitzer hießen die Nachbarn in vino , hatte ihr Zukünftiger erzählt, eine solide Rebbauernfamilie, die gute Erträge erwirtschafte. Vor Jahren sei von einem Tag auf den anderen einer von ihnen spurlos verschwunden. Und gelegentlich gehe das Gerücht, dass der Sohn des jetzigen Hausherrn eine Hurenfrucht sei. Mehr hatte Cees nicht zu erzählen gehabt, aber was interessiere es auch. Fremde Leute!
Ihr Erlebnis vor drei Tagen hatte Barbara lieber für sich behalten: So kurz vor der Hochzeit hätte die Nonnen nur mild gelächelt, sie einfach für überspannt erklärt. Höchstwahrscheinlich hätten sie ihr ein Fläschchen mit Baldrian gegeben, dann wären sie, ohne ein Wort weiter an sie zu verschwenden, in den Gebetsstuhl oder eins der Unterrichtszimmer entschwunden. Und wohl selbst Catharina, ihre Erzieherin Mutter, hätte
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