Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
bestimmt nur den Kopf geschüttelt.
An ihrer Hand war, abgesehen von ein paar winzigen Schrammen, nichts Auffälliges zu sehen – den Riss im Ringfinger ausgenommen. Er heilte schwer und bei Berührung brannte die Wunde. Im Nachhinein betrachtet, ganz natürlich. Erstens hatte sie beim Vortasten in den Borkenklüften zuviel Schmutz in die Wunde gerieben und zweitens: Der Riss war tief und mit Schnittwunden gab es bekanntlich immer Ärger. Hatte sie doch kräftig geblutet, sogar eine ganze Zeit am Finger lutschen müssen. Deutlich erinnerte Barbara sich an den metallischen Geschmack, der so stark war, dass sie geglaubt hatte, Blei gekostet zu haben.
Und heute? Gab es wieder etwas Magisches zu spüren? Barbara klopfte auf die Rinde und brach einige Splitter von ihr ab. Nein, von diesem Baumgreis ging nichts Dämonisches aus. Allenfalls Würde, bedingt durch sein Alter und seine Mächtigkeit. Auf den Bodentrümmern konnte man wenigstens gut ausruhen und wenn sie noch ein Handgeld wert waren, taugten sie bestimmt noch für eine rohgezimmerte Sitzbank. Vielleicht fände sich ja ein Schreiner, der ihr diesen Dienst erwies. Schließlich stand sie ab morgen ja nicht als arme Witwe da.
Barbara legte den Kopf in den Nacken und drehte sich langsam, dann immer schneller um sich selbst. Jubelnd genoss sie den Schwindel, der als dunkelgrünes Riesenrad mit weißblauen Himmelssprenkeln an ihren Augen vorbeiwirbelte. Immer schneller und unmäßiger raste das eichene Rad und als sie schließlich zu Boden stürzte, schien der ganze Baum zu explodieren. Traumlang kam ihr der Sturz vor und der Boden fühlte sich an wie für sie gepolstert. Sollten sich jetzt Kobolde und Gespenster auf sie werfen, sollte der Teufel aus dunklen Höhlungen ausfahren, sollte all das Böse, das man gewöhnlich alten Eichen andichtete, sich jetzt zeigen: dann würde sie es glauben!
Aber nichts geschah. Eindringlich musterte Barbara die Eiche, verfolgte jeden der dicken gezackten Äste und nahm sich vor, irgendwann einmal mit einer Leiter auf die breite Astgabelung zu klettern. Jetzt beschloss sie, ihren Holländer zu überraschen, um mit ihm die erste Nacht zu verbringen. Natürlich ganz schicklich. Ein Glas Wein würde sie mit ihm bei Kerzenlicht trinken und auf die Zukunft anstoßen. Und nur einen Gute-Nacht-Kuss würde sie sich rauben lassen – mehr nicht! Eine leichte Röte huschte über Barbaras Gesicht, denn lieben tat sie ihn nicht, den Holländer. Aber er ar liebenswert. Für den Anfang reiche dies, hatten die Nonnen ihr gesagt. Denn mit der Zeit käme die wahre Liebe dazu. Das wisse jeder und so sei es immer gewesen. Seit Gott die Welt erschaffen hat.
»Gut sinnieren lässt es sich unter deinem Dach, mein Grenzwächter«, sagte Barbara leise und versuchte, ihren Worten den richtigen Nachdruck zu verleihen, indem sie sich genüsslich räkelte. Doch dabei bohrte sich etwas Hartes in ihren Rücken, das sie schließlich zum Aufstehen zwang. Und erst da merkte sie, dass ihr Finger wieder blutete. Aber nicht stark. Amüsiert drohte sie dem Baumriesen und flüsterte kokett: » Oh, mon cher chevalier de chêne! Sie sind ein strenger Freund! War ich Ihnen zu ungestüm? Oder können Sie Gedanken lesen?«
4
Es hätte ein Omen sein können. Aber wer würde die ersten banalen Schwierigkeiten, die sich einem in den Weg stellen, gleich so gewichten wollen? Barbara hatte nicht im entferntesten daran gedacht, dass sie für die Burkheimer noch eine Fremde war. Ausgerechnet die Torwächter waren die ersten, die sie dies fühlen ließen. Denn als sie gegen sieben Uhr abends durch das Tor der kleinen Stadt treten wollte, wurde ihr beschieden, sich auszuweisen – die Ordnung schreibe dies bei fremden Gesichtern vor. Barbara wusste nicht, wo sie suchen sollte und sah sich schon als Landstreicherin in den Turm geworfen. Mit dem Mut der Verzweiflung stotterte sie immer verlegener ihr Vorhaben zusammen, so dass sich schließlich einer der Wächter bereit erklärte, sie zum van Bergenschen Haus zu begleiten. Denn auch wenn er ihr gerne glaube, so jung wie sie sei und so nonnenhaft sie in ihrem schwarzen Kleid aussehe – ohne Bürgen dürfe sie nicht in der Stadt bleiben.
Barbara verwünschte ihren Entschluss, als sie vor dem Haus ihres Bräutigams wartete und immer unruhiger wurde, weil niemand aufmachte. Es war Glück im Unglück, dass jetzt der Torwächter bei ihr war, denn erst als er mit der Faust gegen die Tür hämmerte und Wache rief, klirrten Schlüssel und
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