Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
heißt für mich, dass ich mich in sie hineinversetze. Sie leidet unter ihrer Einsamkeit. Für ihre Mitschülerinnen ist sie immer bloß die Nonne. Da nützt es wenig, wenn wir sie ab und an zu einer Freundin freigeben. Mag sie mit ihr durch die Gassen schlendern, den Fischern zuschauen oder mit Ball und Springseil herumtollen: Um sechs heißt es jahraus jahrein Vesper, Kloster, Nonnen und Gebete.«
Mère Bataille nickte und schwieg. Sie gab Schwester Catharina recht. Mehr zu zeigen verbot ihr Amt. Aber in einigen Gesichtern las sie Betroffenheit: Kloster, Nonnen, Gebete. Dazu den auszehrenden Schuldienst. Mit allem dem Herrn zu dienen, sich immer Ihm zu unterwerfen, Unpässlichkeiten und Sehnsüchte zu kasteien. Wie oft musste man sein träges und schmutziges Ich niederringen, um Ihm zu genügen. Wie ohnmächtig wartete man – vergebens – auf das geringste Zeichen von Ihm, und wie bitter wütete manchmal der Hass auf das eigene Leben. Mère Bataille kannte dies alles. Und hatte gekämpft wie ihre Schwestern. Gegen den hartnäckigsten Satanswunsch. Jede Woche. Gegen den Wunsch nach leiblicher Mutterschaft, nach Familie und privatem Glück.
Schwester Catharina blickte betreten auf ihre gefalteten Hände. Ihr war bewusst, mit welcher Emphase sie gesprochen hatte. Ganz gegen ihre Art. Und doch zwang sie etwas, noch mehr zu sagen. Wie um eine Last von sich zu wälzen und um sich Luft zu schaffen.
Die Stille war körperlich geworden. Kein Stuhl knarrte, kein Atmen war zu hören. Nichts war in Bewegung. Selbst das Öllicht stand unbewegt über dem Tisch, als sei es gemalt.
Leise begann Schwester Catharina wieder zu reden: »Und wenn Barbara den Gymnasiasten nachschaut, tut sie es, weil sie jetzt erfährt, dass es außer Nonnen und Schülerinnen auch ein anderes Geschlecht gibt. Ist sie doch in einem Alter, in welchem sich die Mädchen verwirren, weil sie zuviel von ihrer Natur entdecken.«
Bewegung ging durch die Schwestern. Beinah klang es wie ein Seufzen, das mehr Zustimmung verhieß, als andere Gesten es hätten andeuten können. Catharina spürte eine ihrem Schützling gewogenere Atmosphäre als zu Anfang der Sitzung. Allein Schwester Marianne presste die Lippen aufeinander und blickte steif in das jetzt wieder flackernde Öllicht. Die Zwietracht zerbröckelte, aber eine Lösung war noch nicht gefunden.
Catharina schalt sich jetzt, dass sie nicht gleich aufgestanden war, um klare Auskunft zu geben. Wusste sie doch längst, dass Barbara dann am umgänglichsten war, wenn sie zwei Tage im Weinberg gearbeitet hatte. Eigentlich galt es doch nur, den vor einem halben Jahr von allen gebilligten Versuch ins Ganze zu setzen.
Zögernd, dann aber immer überzeugter im Ton sagte sie: »Viel Aufhebens von mir zu machen, liegt mir nicht. Es war falsche Scham von mir, das – glaube ich – einzig Richtige nicht gleich zur Diskussion gestellt zu haben: Barbara wird nur glücklich und zu bändigen sein, wenn wir sie das Winzerhandwerk in seinem vollen Umfang erlernen lassen. Glaubt mir bitte, ich habe es zu oft von ihr gehört, als dass ich es noch beiseite fegen könnte. Wir dürfen nichts dagegen haben. Es ist ein anständiges Gewerbe. Barbara ist gefestigt genug, ihre Ehre bis zur Hochzeit zu bewahren. Die Anstrengung der Arbeit wird auf ihre lose Zunge dann wie eine heilsame Zwinge wirken.«
Mère Bataille schaute die Schwestern der Reihe nach an, ob eine von ihnen Einspruch erheben würde. Aber alle zogen es vor, ihr Urteil abzuwarten.
»Wenn Schweigen Zustimmung bedeutet, bitte.« Mère Bataille sagte dies nüchtern. Ihr praktischer Sinn witterte sogleich die Lösung. »Arbeit ist Strafe vorzuziehen«, sagte sie, »und, Catharina, wenn du die Verantwortung auf dich nehmen willst, werde ich euch meinen Segen geben.«
Mit einem Blick gab sie ihren Schwestern zu verstehen, dass sie keinen weiteren Disput mehr wünschte. Schnell stimmte sie ein kurzes Gebet an und sprach den Segen. Die Sitzung war beendet. Eine tiefe Müdigkeit hatte die Mutter Oberin erfasst, eine Müdigkeit, die nur noch das Wort Überdruss kannte. Überdruss von den Geschäften des Ordens, aber auch des Lebens.
19
Richtig gekeift hatte sie, die liebe Schwester Marianne! Als Obernonne hatte sich die hochanständige Religionslehrerin wieder aufgespielt. Unschicklich, aufreizend, ja hurenhaft sähe es aus, wie Barbara vor dem Spiegel poussiere! Eine Zumutung für das Kloster sei sie, mit ihrer beleidigenden frech-sinnlichen Art!
Barbara hatte den Ton
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