Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
schimpfen. Sie schluckte ihren Ärger herunter, warf ihrer Widersacherin aber einen derartig unchristlich hasserfüllten Blick zu, dass Mère Bataille missbilligend den Kopf schüttelte. Doch ehe sie schlichtend eingreifen konnte, hatte sich Schwester Anna eingemischt, die sich als zweite Bürgermeisterstochter verpflichtet fühlte, ihrer Standesfreundin beizustehen.
»Achtet die Freiheit des Willens darf aber nicht heißen, die uns von Gott aufgetragene Fürsorgepflicht zu verletzen«, sagte sie bestimmt. »Ich hab’ es selbst gesehen: Barbara poussiert mit den Franziskaner-Gymnasiasten. Und mit Verlaub, Antonia: Du scheinst sie nur im Unterricht zu kennen. Ihren aufreizenden Gang wirst du ihr mit Rechenaufgaben nicht abgewöhnen.«
»Und du, Schwester, aber auch nicht, wenn du sie Messtexte auswendig lernen lässt oder sie dir die Psalmen vorbeten soll«, sagte jetzt Schwester Sibylle, Barbaras Französischlehrerin. Barbara war nicht unbedingt ihr Liebling, denn dazu ging sie ihr viel zu spielerisch mit der Sprache um, ohne sich groß um deren Regeln zu kümmern. Aber sie erkannte an, dass Barbara das Französische gerne sprach. Wichtiger war ihr jetzt, dass Schwester Marianne und Anna nicht das letzte Wort blieb. Zwar hatte dies sowieso Mère Bataille, aber die hielt sich aus dem Disput heraus. Erstens, weil sie Barbara nicht unterrichtete und zweitens – Schwester Sibylle stand da mit ihrem Verdacht nicht allein – weil sie nicht wollte, dass etwa über Johannes böse Worte nach Tennenbach gelangten.
»Ihr sprecht, als wären wir die törichten Altvorderen und rachsüchtige Furien dazu«, sagte Schwester Marianne empört. »Ihr glaubt ganz einfach, Sprachen, Rechnen und Hauswirtschaft seien mehr wert als Näharbeiten und Religion.«
»Nein, so haben sie es nicht gesagt«, warf Mère Bataille ein.
»Aber, entschuldigt Mutter, es klang so«, sagte Schwester Marianne rechthaberisch. »Und wenn Antonia mit der heiligen Angela aufwartet, komme ich ihr mit unserem heiligen Augustinus. Und der schreibt: Gott stattete den Menschen mit freiem Willen aus, jedoch so, dass er ihn mit seinem Gebot leite und …« – Schwester Marianne machte eine kurze Pause, um dann mit äußerstem Nachdruck fortzufahren – »ihn mit Untergang schrecke. Laurentius-Handbüchlein. Und wessen Wort gilt wohl mehr!«
Mère Bataille war sich darüber im klaren, dass sie den Disput nicht länger stumm würde begleiten können. Denn in Liebe geeint waren ihre Schwestern jetzt nicht mehr, wie sie es zu Anfang der Sitzung im Gebet beschworen hatte. Dies aber durfte nicht länger so bleiben.
Sie war außerordentlich geschickt darin, Kompromisse zu finden. Nicht umsonst war sie zum neunten Mal einstimmig zur Oberin gewählt worden. Als die Breisacher Stadtväter 1731 im St.-Barbara-Kloster Straßburg vorstellig geworden waren, waren sie von ihrem Wesen äußerst beeindruckt. Ein paar Jahre später hatten sie ihre Wahl bereut, denn als anderen Wesenszug offenbarte die Oberin eine imponierende Hartnäckigkeit. Besonders als es um das Geld für die notwendigen Baulichkeiten ging, wurde sie auf dem Rathaus zur Plage. Eine bettelnde Taktiererin, die es am Schluss noch geschafft hatte, für jede Schwester ein jährliches Kostgeld von 50 Gulden herauszuhandeln, samt Alimentierung mit Brot, Holz und Wein.
»Jeder von euch liebt Barbara nach seinem Verständnis«, sagte sie lächelnd zu Schwester Anna und Marianne. »Und ich weiß, dass ihr Barbara mit selbstloser Liebe begegnet und daher mit Recht erwartet, dass sie im Gehorsam eher das Licht als einen dunklen Kerker erkennt. Aber«, und damit wandte sie sich zu Schwester Antonia, »es ist auch gewiss: Nur Gott weiß, was er aus Barbara machen will. Wir können nicht in ihr Herz sehen. Wenn wir richten wollen, müssen wir immer der Gefahr der Täuschung gewärtig sein.«
»Vielleicht wissen Ute und Catharina ja Rat«, sagte Schwester Sibylle in die eingetretene Pause.
»Nein«, erwiderte Schwester Ute, »aber wie ich euch, Mutter Oberin, verstanden habe, wird es höchstens zu einer milden Strafe reichen. Ich gestehe jedenfalls mein Hin- und Hergerissensein ein.«
»Catharina wird sicher die stärksten Gegengründe aufbringen«, sagte Mère Bataille. »Du hast gezögert, um dein besonderes Gewicht nicht auszuspielen?«
»Nein, Mutter«, sagte Schwester Catharina. »Auch wenn ich natürlich gegen eine Strafe bin – obwohl vielleicht gerade ich für eine stimmen sollte. Barbara beizukommen,
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